Verkehrsbauwerke

    Die »Blinden Tunnel« Berlins

    Der Boden unter unseren Füßen ist gespickt mit ungenutzten Verkehrsbauwerken. Berlin kann hier auf eine lange Tradition zurückblicken. Rund siebzig solcher Relikte vom kleinsten Tunnelstutzen bis zu fast kathedralenartigen Großbahnhöfen ohne Gleisanschluss sind im märkischen Sand zu finden. Zusammengenommen würde das für eine Strecke vom Alexanderplatz bis zur Gedächtniskirche und noch etwas weiter reichen. Die folgende Auswahl unvollendeter Tunnelprojekte erfasst daher nur die wichtigsten und bedeutensten Bauvorleistungen und ungenutzten Tunnelanlagen. Sie dient vor allem dazu, einen Einblick in dieses spannende und äußerst umfangreiche Thema zu vermitteln.

    Tunnelstutzen U-Bahnhof Klosterstraße

    Im Zuge der im Jahre 1910 begonnenen Streckenverlängerung der U-Bahnlinie A bis zur Schönhauser Allee hatte man unter der Klosterstraße eine Streckenverzweigung vorgesehen. Hier sollte eine weitere U-Bahnlinie nach Lichtenberg abgehen, die im Zuge der Frankfurter Allee geführt worden wäre. Realisiert hat man ein etwa 100 Meter langen Tunnelstutzen (ca. 720 m²), der unter der heutigen U-Bahnlinie 2 hindurchführt und an einer Abschlusswand aus Beton endet. Es handelt es sich hierbei um ein recht imposantes unterirdisches Brückenbauwerk. Der Bahnsteig im U-Bahnhof Klosterstraße seinerseits weist eine ungewöhnliche Breite auf, da er mittig einen zusätzlichen Gleistrog für die geplante Umsteigemöglichkeit enthält, der heute abgedeckelt ist.

    Tunnelstutzen Eisackstraße

    1910 ging die sogenannte Schöneberger Bahn (heute U4) zwischen Nollendorfplatz und Innsbrucker Platz in Betrieb. Planungen, die drei Kilometer lange Strecke weiter nach Süden zu verlängern, wurden allerdings niemals realisiert. Ein etwa 200 Meter langes Anschlussstück unter der Eisackstraße war hierfür bereits fertiggestellt. Von hier führte eine weitere Tunnelverzweigung zu der an der Otzenstraße gelegenen kleinen Betriebswerkstatt, die jedoch 1935 aufgegeben wurde. Der Tunnelstutzen diente im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzraum. Im Rahmen der Errichtung des Stadtautobahntunnels Anfang der 1970er Jahre mit einem Totalumbau des Innsbrucker Platzes wurde das letzte Tunnelstück vom übrigen U-Bahnnetz abgeschnitten. Dieses Reststück hat eine Länge von etwa 190 Meter (700 m²).

    Waisentunnel (D-E-Schacht)

    Der Waisentunnel verdankt seine Existenz den Plänen der AEG, eine U-Bahnstrecke im Großprofil von Gesundbrunnen nach Neukölln zu bauen. 1912 kam es zu einem Vertragsabschluß zwischen der Stadt Berlin und der AEG für diese Linie, die Strecke sollte bis 1918 fertiggestellt sein. Hier verhinderte der Erste Weltkrieg die Vollendung des Projekts. Nur einige Streckenabschnitte konnten bis zum Kriegsende fertiggestellt werden, darunter ein etwa 700 Meter langer Tunnel unter der Neuen Friedrichstraße (heute Littenstraße) mit Spreeunterfahrung und einem Bahnhofsrohbau. 1923 übernahm die Stadt Berlin die fertiggestellten Tunnelabschnitte und ließ die ursprüngliche AEG-Planung überarbeiten. Das Verlegen der neuen Streckenführung (heute U-Bahnlinie 8) östlich hinter die Stadtbahn machte eine zusätzliche Spreeuntertunnelung nötig. Der alte Tunnelabschnitt erhielt dabei einen Gleisanschluß an das übrige U-Bahnnetz und dient seitdem als Verbindungstunnel zwischen den U-Bahnlinien 5 und 8. Im Zweiten Weltkrieg hat man in den Bahnhofsrohbau einen Luftschutzbunker eingebaut. Ein Entfernen des Bunkers wäre mit erheblichen Kosten verbunden, da dieser Anfang der 1940er Jahre im Verbund mit der Tunneldecke errichtet wurde. Die Länge des D-E-Schachtes beträgt 865 Meter, das durchlaufende Verbindungsgleis liegt auf der östlichen Tunnelseite. Die Westseite der Spreeunterfahrung hat heute keine Gleisanschlussmöglichkeit, südlich der Spree gibt es nur einen Belüftungs- und Notausstiegsschacht. Die Bunkeranlage ist rund 260 Meter lang und hat etwa 1200 Quadratmeter Nutzfläche. Südlich schließt neben einer Wehrkammer noch der Rohbau des einst geplanten Bahnhofszuganges mit ca. 170 Quadratmetern an. Der Waisentunnel ist für die betriebsinternen Abläufe innerhalb des U-Bahnnetzes unverzichtbar, doch die Verbindung zwischen den U-Bahnlinien 5 und 8 ist in die Jahre gekommen. Die Tunneldecke der Spreeunterfahrung ist derart marode geworden, dass dieser Abschnitt durch einen Neubau ersetzt werden muss. Das Verkehrsbauwerk ist hier seit 2021 für den Zugverkehr gesperrt.

    U-Bahnhof-Rohbau unter der Dresdener Straße

    Zwischen dem Oranienplatz in Kreuzberg und der heutigen Heinrich-Heine-Straße (Bezirk Mitte) liegt ein weiteres ungenutztes Tunnelstück der einstigen AEG-Linie einschließlich eines Bahnhofsrohbaus. Dieser Tunnelabschnitt, der den Alexanderplatz auf kürzestem Wege mit dem Kottbusser Tor verbinden sollte, wurde erst 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, begonnen. Auf einer historischen Fotografie gut zu erkennen, ist zum einen eine Dampframme auf der linken Straßenseite. In der Baugrube selbst fällt auf, dass fast ausschließlich Frauen als Arbeitskräfte eingesetzt werden, da die meisten Männer an der Front sind. Die Arbeiten an diesem Tunnelabschnitt gerieten immer wieder ins Stocken. Erst auf Druck der Stadt Berlin, erzwungen durch eine einstweilige Verfügung, wurde 1921 der Bahnhofsrohbau fertiggestellt und die Tunneldecke geschlossen, um die Straße wieder für den Verkehr freizugeben.
    Der Tunnel- und Bahnhofsabschnitt diente jedoch nie dem U-Bahnverkehr. Als die Arbeiten an der GN-Bahn (bis 1966 U-Bahnlinie D, heute U8) 1926 wieder aufgenommen wurden, entschied sich die Stadt Berlin für eine Streckenführung über den Moritzplatz, um diesen wichtigen Verkehrsknoten ebenfalls an das U-Bahnnetz anzuschließen. Eine Intervention des Kaufhauskonzerns Wertheim, der in den 1920er Jahren für seine dortige Filiale einen U-Bahnanschluss wünschte und sich angeblich sogar an den Baukosten beteiligt haben soll, ist jedoch ins Reich der Legenden zu verweisen.
    Der bereits fertiggestellte Abschnitt zum Oranienplatz wurde nach der Streckenverlegung über Moritzplatz nicht mehr benötigt. Die BEWAG richtete daraufhin in den 1920er Jahren im Bahnhofsrohbau, der mit Säulen aus poliertem schwedischem Granit ausgestattet war, eine Schalterstation ein. Den verbliebenen Tunnelstutzen bis zur Neanderstraße (heute Heinrich-Heine-Straße) nutzte die BVG bis zum Einbau eines Luftschutzbunkers im Jahre 1941 als Abstellanlage. Die Bunkeranlage ähnelt der unter der Littenstraße. In ihr findet sich noch das letzte unterirdische Stück der Berliner Mauer, da mit der Teilung der Stadt am 13. August 1961 ein Teil des Bunkers unter Ostberliner Gebiet lag.
    Der BEWAG-Standort ist 1988 aufgegeben worden. Planungen für eine gastronomische Nutzung zu Beginn der 1990er Jahre scheiterten am Stellplatznachweis. Der Berliner Unterwelten e.V. führte von 2006 bis Anfang 2012 in den Bahnhofsrohbauten unter der Dresdener Straße und am Moritzplatz Führungen durch (Tour D – Auf den Spuren der U-Bahnlinie D). Dann ist der rund 4000 Quadratmeter große Bahnhofsrohbau durch die zuständige Senatsverwaltung gesperrt worden, da nach einer gutachterlichen Untersuchung kein »statischer Nachweis« erbracht werden konnte.
    Im Frühjahr 2015 wurde der Bahnhofsrohbau – angeblich »aus statischen Gründen« – mit »Flüssigerde« verfüllt. Der Berliner Unterwelten e.V. hatte 2013/14 zusammen mit einem Statikbüro an Alternativlösungen gearbeitet, um die historisch einmalige Anlage zu retten und den kommenden Generationen zu erhalten. Jedoch hatte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg für den betroffenen Abschnitt der Dresdener Straße 30 Tonnen Verkehrslast in jeder Fahrtrichtung gefordert (gesamt 60 Tonnen; hier könnte dann ein Leopard-2-Panzer der Bundeswehr direkt zum Oranienplatz fahren!), obwohl es sich um eine Nebenstraße (und zu diesem Zeitpunkt zudem um eine Einbahnstraße) handelte. Das statische Gutachten und das Sicherheitskonzept des Vereins waren auf 16 Tonnen pro Fahrtrichtung ausgelegt, bei Beibehaltung der Einbahnstraßenregelung also 32 Tonnen. Es wären 92 Tonnen Baustahl zur zusätzlichen Sicherung erforderlich gewesen, eine Auflage, die der Berliner Unterwelten e.V. nicht aus eigener Tasche hätte finanzieren können. Aufgrund der unverständlichen Forderung des Bezirksamtes ist der »Geisterbahnhof« unter der Dresdener Straße daher nun Geschichte.

    Bauvorleistung U-Bahnhof Moritzplatz

    In den 1920er Jahren plante man zusätzlich eine städtische U-Bahn zwischen Treptow und Moabit, die unter Potsdamer Platz sogar einen gemeinsamen Umsteigebahnhof mit der geplanten Nord-Süd-S-Bahn erhalten sollte. Für diese Strecke entstand 1926–1928 nach den Entwürfen von Peter Behrens beim Bau der heutigen U-Bahn-Linie 8 (damals Linie D) unter der Station Moritzplatz ein weiterer etwa 1140 Quadratmeter großer Bahnhofsrohbau, der später als Umsteigebahnhof dienen sollte.
    Nach Aufgabe der ursprünglichen U-Bahnpläne in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde eine unterirdische S-Bahnlinie vom Görlitzer Bahnhof zum Anhalter Bahnhof geplant, für die der Stationsrohbau hätte wiederum Verwendung finden sollen. Die Planungen wurden jedoch nie realisiert. Während des Zweiten Weltkriegs – vermutlich zwischen 1942/43 – richtete man den ungenutzten Bahnhofabschnitt zu Luftschutzzwecken her. Von einem 1984 erfolgten Einbau eines Umformerwerkes der BVG in das westliche Zwischengeschoss abgesehen, liegt die Anlage bis heute brach.

    »Heuboden« – S-Bahn-Verzweigungsbauwerk unter der Ebertstraße

    Bedingt durch Abänderungen der ursprünglichen Planungen des Nord-Süd-Tunnels der S-Bahn wurde unter der heutigen Ebertstraße nach Beginn der Ausschachtungsarbeiten ein Teilstück für eine Streckenverzweigung ausgeführt. Die hierfür notwendige Tieferlegung der Baugrube führte 1935 wegen unsachgemäßer Baugrubenabsteifungen zu einem Einsturzunglück. Von dem viergleisig angelegten Tunnelstück werden die beiden mittleren Gleise derzeit als Abstell- und Kehranlage (Länge ca. 400 m) genutzt, deren Niveau nach Norden ansteigt. Die beiden äußeren Gleise sinken zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor ab, so dass südlich des Brandenburger Tores eine Überfahrung in Ansätzen vorhanden ist. Die Verlängerung der beiden mittleren Gleise, die einst im Zuges des Ausbaus der Reichshauptstadt zum an der Ringbahn vorgesehenen Nordbahnhofs führen sollte, ist jedoch nie in Angriff genommen worden. Im aktuellen Flächennutzungsplan wird Verlängerung der Tunneltrasse nach Norden (S21) heute immer noch berücksichtigt.

    Innsbrucker Platz

    Im Zusammenhang mit dem komplexen Umbau des Innsbrucker Platzes ist unter dem Autobahntunnel ein Bahnhofsrohbau für die geplante U-Bahnlinie 10 bereits mit Bahnsteigplattform ausgeführt worden. Es sind Lüftungsschächte vorhanden, der Zugang ist von einem ausgedehnten Zwischengeschoss aus möglich, das sich über dem Autobahntunnel erstreckt und den Endbahnhof der U-Bahnlinie 4 mit anbindet. Inzwischen ist das Zwischengeschoss zu einer unterirdischen Einkaufsmeile umgebaut worden, den U-Bahnhofsrohbau hat die BVG für die Vermietung als Film-Location hergerichtet. Die Gesamtfläche liegt etwa bei etwa 3000 Quadratmeter.

    U-Bahnhof »Reichstag« (heute Bundestag) – Bauvorleistungen für die U5

    Für die geplante Verlängerung der U-Bahnlinie U5, die derzeit (2012) noch am Alexanderplatz endet, ist im Zusammenhang mit Erstellung des Tiergartentunnels gleich der U-Bahnschacht in entsprechender Länge mit erbaut worden. Er reichte 2002 von der Döberitzer Straße im Norden bis vor die Türen des Hotels Adlon und war bis dahin 1,9 Kilometer lang. Am neuen Zentralbahnhof und vor dem Reichstag hatte man hierbei zwei neue U-Bahnhöfe im Rohbau erstellt. Sehenswert war vor allem der Rohbau des U-Bahnhofs Reichstag mit seiner speziellen Säulenkonstruktion, entworfen vom Architekten Axel Schultes. Im Bereich der Spreeunterfahrung wurden der vierspurige Straßentunnel, der viergleisige Fernbahntunnel sowie der U-Bahntunnel in einer gemeinsamen Wanne unter dem Flußbett hindurchgeführt. Während die Anschlüsse für den Straßen- und Fernbahntunnel erstellt wurden, hatte man zu diesem Zeitpunkt noch auf den Anschluss des U-Bahntunnels an das betriebene Streckennetz – vorerst aus Kostengründen – verzichtet.
    Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 beabsichtigte man, den Abschnitt zwischen Hauptbahnhof und Pariser Platz als kürzeste U-Bahnlinie Berlins (U55) wenigstens vorübergehend in Betrieb zu nehmen. Auf einem Gleis sollte ein Zwei-Wagen-Zug auf der dann 1,47 Kilometer langen Strecke pendeln. Da die notwendigen Haltestellen bis zum Beginn der WM im Juni 2006 nicht hinreichend fertig gestellt werden konnten, blieben von den ehrgeizigen Planungen am Ende nur ein paar Testfahrten. Die Strecke wurde erst seit dem 9. August 2009 im Pendelbetrieb befahren und vom Bund mit 170 Millionen Euro gefördert.
    Der ursprünglich beabsichtigte Weiterbau der noch fehlenden zwei Tunnelkilometer zwischen Rotem Rathaus und dem Pariser Platz stand noch im Jahr 2007 »in den Sternen«, doch inzwischen hat sich einiges geändert. Nach Baubeginn der 2,2 Kilometer langen Verbindungsstrecke zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor am 13. April 2010 – die Tunnel wurden weitgehend unterirdisch im Schildvortriebverfahren erstellt – ist die U55 mit dem 4. Dezember 2020, mit der Herstellung der Verbindung zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz, in die U5 aufgegangen. Die Eröffnung der Station Museumsinsel erfolgte mit einer leichten Verzögerung im Juli 2021. Die Kosten für diesen Abschnitt lagen schließlich bei rund 535 Millionen Euro.  
    Das Schicksal eines »Blinden Tunnels« ist somit dem Streckenabschnitt zwischen Hauptbahnhof und Pariser Platz erspart geblieben. Lange Zeit aber sah es ganz anders aus.

    U-Bahnhof Potsdamer Platz – Bauvorleistungen für die U3

    Ein weiteres etwa 500 Meter langes Tunnelstück mit einem modernen »Geisterbahnhof« beginnt am westlichen Ende des Leipziger Platzes und endet kurz vor der Philharmonie. Die Anlage ist 1997-98 zwischen den Arealen von Sony und debis unter der (neuen) Potsdamer Straße erstellt worden, um den Investoren bei einer späteren Realisierung einer U-Bahnlinie in diesem Bereich nochmalige Buddeleien zu ersparen. Nahe der Philharmonie erreicht das Bauwerk seine größte Tiefenlage, da hier die Tunnelanlage der Bundesstraße 96 unterfahren wird. Zum Potsdamer Platz hin steigt der Tunnel steil an und überspannt als »freischwebendes« Bahnhofsbauwerk den darunter befindlichen Regionalbahnhof der Fernbahn sowie das ausgedehnte und hochmoderne Verteilergeschoss. Die gesamte Bahnhofsanlage wurde vom Architekturbüro Modersohn und Freiesleben konzipiert. Allein die Fläche des neuen U-Bahnhofs, der zur Zeit für Ausstellungen genutzt wird, umfaßt etwa 3500 Quadratmeter.
    Ob durch diese Bauvorleistung einmal die projektierte U-Bahnlinie 3 zum Wittenbergplatz oder die U-Bahnlinie 10 nach Steglitz führen wird, ist noch völlig unklar. Die nächsten 20 Jahre allerdings dürfte hier auch kein Zug zu erwarten sein.

    Autor: Dietmar Arnold, Stand: 29. Mai 2022

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