Am 11. März 1869 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung den Vertrag, durch den James Friedrich Ludolph Hobrecht (1825–1902) auf Vorschlag des Magistrates von Berlin zum leitenden Techniker für die Vorarbeiten zum Bau einer Entwässerung in der Preußischen Hauptstadt berufen wurde. Sein Vorgesetzter war zu dieser Zeit noch der Geheime Baurat Friedrich Eduard Salomon Wiebe (1804–1892). Beide hatten nach einer Inspektionsreise durch verschiedene europäische Städte vom 2. August bis zum 10. November 1860 damit begonnen, die in Hamburg, Paris, London und weiteren Städten Englands gewonnenen Erfahrungen mit Entwässerungssystemen auszuarbeiten. Daraus entwickelte sich ein Entwässerungsplan für Berlin, der im Juni 1861 durch Wiebe in einem Buch über die Reinigung und Entwässerung von Berlin veröffentlicht wurde. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte allerdings am 6. Dezember 1866 diesen ersten Entwurf ab, da sie sich ungenügend über dieses Vorhaben informiert fühlte.
Der Aufbau einer Kanalisation begann ab 1873. Die Honoratioren folgten nun den Plänen von James Hobrecht, die dieser am 16. November 1872 der Stadtverordnetenversammlung vorgestellt hatte. Wiebe hatte in seinem Plan, dabei den Vorbildern Paris und London folgend, zwei zentrale, von Ost nach West durch das Stadtgebiet laufende Kanäle vorgesehen. Die gesamten Schmutzwässer sollten zentral und ungeklärt durch eine Pumpstation an der Ecke Beusselstraße und der Straße Alt-Moabit ungeklärt in die Spree gepumpt werden. Ein bloßes Einleiten in die Spree kam für Hobrecht nicht in Frage. Stattdessen entwarf er ein Radialsystem von Kanälen, das die Stadt in zwölf Unterflächen aufteilte. Die Abwässer flossen zu Stationen an den tiefsten Stellen, und von dort aus wurden sie bis vor die Tore der Stadt auf dort angelegte Riesel-Felder abgepumpt. Das Hobrechtsche System konnte nicht nur den ständig wachsenden Ansprüchen genügen, sondern war in seiner Flexibilität auch nach den entsprechenden Bedürfnissen und Erfordernissen jederzeit erweiterbar.
Die ersten Überlegungen der Regierung und einer königlichen Studienkommission aus den Jahren 1816 und 1846 waren noch sehr viel bescheidener gewesen. Sie hatten aber immerhin bereits zu der Entscheidung geführt, für Berlin ein Wasserwerk zu errichten. Damit sollten endlich hohe Mengen Wasser mit einigem Druck zur Durchspülung der Rinnsteine zur Verfügung stehen, die bisher die Entsorgung der Fäkalien übernommen hatten. 1856 entstand dann schließlich dieses Wasserwerk vor dem Stralauer Tor auf dem Windmühlenberg. Gebaut wurde es von einem englischen Unternehmen, der von der Firma Fox & Crampton gegründeten Berlin Waterworks Company, da der Stadt Berlin schon damals keine ausreichenden Geldmittel zur Verfügung standen. Mit dem Bau nach Hobrechtschem Vorschlag wuchs eine Stadt unter der Stadt. Kaum 15 Jahre nach Baubeginn – also 1887 – hingen bereits 1.150.000 Berliner am Netz. 1909 waren alle Radialsysteme in Betrieb. Heute hat die Kanalisation eine Gesamtlänge von rund 10.900 Kilometern. Das sind 4.403 Kilometern Schmutzwasserkanäle, 3.324 Kilometern Regenwasser- und 1.928 Kilometern Mischwasserkanäle sowie 1.183 Kilometer Druckrohrnetz und 70 Kiliometer Sonderkanäle. Die Durchmesser variieren von 15 Zentimetern bis ovalen Abmessungen von 4,4 Metern Breite und 3,4 Metern Höhe.
Auf den Rieselfeldern wurden die Abwässer mittels Steigrohren versprüht. Bewässerungsgräben und Absetzbecken verteilten sie auf größere Flächen. Das gereinigte Wasser und der organische Klärschlamm sorgten für reiche Ernten auf den Stadtgütern. Das Wasser blieb in der Landschaft, 1925 auf einer Verrieselungsfläche von 18.000 Hektar. 1913 waren es noch 14.360 Hektar mit 8.563 Hektar direkter Verrieselungsfläche gewesen. Aber auch die Abwassermengen wuchsen. Waren es 1887 noch 42 Millionen Kubikmeter, so entsorgte die Kanalisation 1927 bereits 182 Mio. und 1935 schon 237 Mio. Kubikmeter im Jahr. Am 1. Mai 1885 wurde Hobrecht zum Stadtbaurat für den gesamten Tiefbau befördert. Seine Bedeutung für Berlin besteht bis heute in der Vollendung der Kanalisation, dann aber auch in der Regulierung der Spree, den dadurch bedingten Brückenneubauten und dem weiteren Ausbau von Straßen und Plätzen. Letztere Vorstellungen und Planungen waren allerdings gerade unter Städteplanern nicht unumstritten. James Hobrecht starb im Alter von 77 Jahren am 8. September 1902. Sein nach 28 Jahren ununterbrochener Tätigkeit entstandenes Erbe, die Berliner Kanalisation, blieb lange Zeit intakt. Säurefest gemauert und von Hobrecht auch für die Zukunft ausreichend groß dimensioniert geplant. Während der Teilung Berlins (1961–1989) wurde sie vorübergehend zerschnitten. Anders als mit dem Westteil der Stadt vereinbart, wurden in der Hauptstadt der DDR Kanäle zugemauert und Abwässer umgeleitet, um die Verrechnungskosten zu sparen. Grenzpumpwerke beförderten die Regen- und Abwässer auf die »richtige Seite«, Signaltechnik verhinderte Fluchtversuche. Ein technisch unnötiger, kurioser Sonderweg, ein kostspieliger und kurzlebiger noch dazu.
Ratten halten sich in den Kanälen nur ungern auf. Sie sind vielleicht ein Revier zur Nahrungssuche, aber nicht zum dauerhaften Leben. Bereits 1925 kamen 7,3 Prozent der Abwässer aus der Industrie. Ein Viertel davon aus Gaswerken und metallverarbeitender Industrie mit Schwermetallen, einer lange unterschätzte Gefahr für das Abwasser. Diese Fracht wälzte sich in Richtung Rieselfelder, die sich zunehmend in Deponien verwandelten. Das erste Klärwerk nahm 1905 in Wilmersdorf den Betrieb auf. 1930 folgte Stahnsdorf und 1935 Waßmannsdorf. Seit 1927 existierte hier eine Vorkläranlage wegen beginnender Überlastung der Rieselfelder. Während die DDR 1986 den Rieselbetrieb in Buch endgültig einstellte, wurden in Westberlin auch 1988 noch 34 Prozent der Abwässer in Gatow und Großbeeren verrieselt. Trotz Absetzbecken reicherten sich die Schadstoffe im Boden dermaßen an, daß an Landwirtschaft dort nicht mehr zu denken war. Auch deswegen nicht, weil – der Abwassermengen halber – die Flächen zum Zeitpunkt ihrer betrieblichen Schließung ständig überflutet standen. Rieselfelder gelten noch heute als Altlastenverdachtsflächen. Die Anpflanzung von vier Millionen Bäumen scheiterte an der übermäßigen Giftbelastung. Nur auf 40 Prozent der im Norden Berlin als Rieselfelder stillgelegten Flächen war die Aufforstung erfolgreich.
Heute besteht zusätzlich ein hoher Risikofaktor für das Berliner Trinkwasser in den ungeklärten Rückständen aus den über 3.000 zugelassenen Pharma-Wirkstoffen. In Brandenburgs Abwässern wurden zum Beispiel Sexualhormone aus Verhütungsmitteln nachgewiesen. Ein Milliardstel Gramm pro Liter Wasser ändert bereits das Hormonsystem von Fischen. Die Konzentration im Klärwerksschlamm lag tausendfach höher. Weil rings um Berlin das Grundwasser sinkt, könnte heute möglicherweise auch gereinigtes Klärwerkswasser schon helfen, solche Probleme zu lösen. Doch seit dem Ende der Rieselfelder entlassen die großen Klärwerke ihr Wasser über die Flüsse Richtung Nordsee. Nur bei Waßmannsdorf versucht man auf einigen filternden Wiesen rund um die Dahme eine Rückführung des feuchten Bodenschatzes in den lokalen Wasserkreislauf. Wenn auch aus gutem Grund mit aller gebotenen Vorsicht...
In Betrieb: seit 1874
Ausdehnung: Gesamtlänge ca. 10.900 km
Nutzungszweck: Regen- und Abwasserentsorgung
Zustand: in Betrieb, nicht öffentlich zugänglich
Autor: Michael Richter, Stand: März 2020
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