An einem kalten Novemberabend gelingt uns der Durchstich. Fünf Nächte lang haben wir heimlich gegraben und fühlten uns dabei eher wie die Fluchttunnelgräber der 60er Jahre denn als passionierte Untergrundforscher. Unsere Gruppe hatte das unwiderstehliche Ziel, noch einmal in jene geheimnisvolle und verbotene Welt zurückzukehren, in der wir einen Teil unserer Jugend verbracht haben, an einen Ort mitten in der Großstadt, der ganz nah und doch dennoch unerreichbar war, ein Ort, von dem andere nicht einmal wussten, dass es ihn überhaupt noch gibt. Wir hatten alles über Monate vorbereitet. Historische Pläne und Fotografien waren analysiert, zahlreiche Zeitzeugen befragt worden.
Dabei waren wir auf eine geeignete Stelle für den Einstieg gestoßen. Ein Foto aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigte einen langen, durch die Sprengungen französischer Pioniere verursachten Riss in der über zwei Meter dicken Betonwand des Bunkers, der später mit Bauschutt verfüllt worden war. Hier wollten wir uns einen Weg in das Innere des nur teilweise zerstörten Kolosses schaffen. Ein Wochenende in einer Schlechtwetterperiode scheint uns der geeignete Zeitpunkt für das Abenteuer zu sein. Es nieselt, und die Temperaturen liegen nur wenig über dem Gefrierpunkt. Wer geht da abends noch im Bunker-Park spazieren?
Freitag um 22.30 Uhr rückt unser Expeditionstrupp los. Drei Mitglieder werden zum Graben eingeteilt, drei weitere sind für die Beseitigung des Abraums zuständig. Die übrigen bilden das Sicherungsteam. Wenn sich ein Hundehalter oder ein Liebespaar nähert, wird Alarm gegeben und die Arbeit unterbrochen. Erst nach Mitternacht wird es spürbar ruhiger und kommen wir mit dem Graben endlich voran. Als es anfängt zu dämmern, sind die ersten dreieinhalb Meter geschafft. Wir sichern und tarnen die Einstiegsstelle und verabreden uns für den nächsten Abend.
Die Arbeiten gehen in der zweiten und dritten Nacht gut voran, denn das dichte Wurzelwerk, das sich in den letzten vier Jahrzehnten hier ausgebildet hat, macht den Untergrund ziemlich stabil, sodass von den anfangs berechneten Abstützungen gerade mal ein Viertel benötigt wird. Doch in der vierten Nacht droht beinahe alles zu scheitern. Die Sicherungsgruppe meldet wieder einmal »Besuch«. Schnell verschwindet unser Arbeitsgerät im Gestrüpp und unter einem Laubhaufen. Die Abraumbrigade mimt eine feucht-fröhliche Zechgesellschaft, die sich hier zum Trinken zusammengefunden hat. Aber der Hund des Spaziergängers rast auf das Einstiegsloch zu und fängt an, laut zu bellen. Er hat den Grabungstrupp im Tunnel gewittert. Doch die drei da unten bleiben ruhig. Der Mann schaut kurz auf das unscheinbar wirkende Erdloch und zerrt schließlich seinen Hund weiter. Alle atmen erleichtert auf.
Kurz vor Morgengrauen ist es dann schließlich geschafft. Das Untergrundteam kommt aus dem mittlerweile rund 10 Meter langen Tunnel mit der freudigen Nachricht: »Wir sind durch!« An ein Einsteigen ist zu diesem Zeitpunkt aber nicht zu denken, dafür müssen erst die erforderlichen Ausrüstungsgegenstände herangeschafft werden. Wir verdecken also den Zugang wieder und verabreden uns für die nächste Nacht zum Start der lang ersehnten Expedition.
Doch ein Wintereinbruch macht all unsere Pläne hinfällig. In der dichten weißen Schneedecke würden unsere Spuren sofort auffallen. Erst Wochen später, als Tauwetter einsetzt, können wir es endlich wagen. In drei unauffällige Kleingruppen aufgeteilt, steigen wir eines Abends schwer beladen den Bunkerberg hinauf. Wasserkanister, Provianttaschen, Seile, Fotoausrüstungen, Isoliermatten und auch mein kleines Akkordeon sind dabei. Zu siebent steigen wir in Abständen hinab. Ein Außenteam bleibt zurück, um uns zu sichern und hinter uns den Zugang wieder so zu verschließen, dass niemand am Tage Verdacht schöpfen kann. Sie sind auch dafür verantwortlich, den Eingang freizulegen, wenn wir wieder aussteigen wollen.
Zunächst gilt es für uns, den schmalen langen Tunnel auf dem Bauch liegend zu durchrobben. Ich schiebe dabei meine Fototasche vor mir her, den Rucksack ziehe ich nach. Licht gibt lediglich eine kleine Helmlampe. Nach einem guten Stück stoße ich auf eine Betonwand, der Gang knickt nach rechts ab. Unsere Berechnungen waren wohl nicht ganz perfekt. Aber nur ein kleines Stück weiter tut sich dann die ursprünglich angepeilte und etwa einen Meter breite Spalte im Beton auf. Das Ziel ist erreicht. Wir dringen in den Innenraum des Bunkers vor, wo sich alle erst einmal sammeln. Lange dünne, weiße Tropfsteine hängen hier von der Decke. Wild verknäulte Stahlarmierungen sind in den Lampenkegeln zu erkennen, an denen zum Teil größere Betonbrocken hängen. Überall liegt Schutt herum. Es wirkt wie eine graue, feuchte Höhle.
Langsam steigen die Erinnerungen wieder auf. Das letzte Mal war ich wohl als Fünfzehnjähriger Ende der 70er Jahre hier unten, also etwa so alt wie viele der Flak-Helfer am Ende des Krieges. Reiner erzählt, dass ihm sogar schon vor mir ein Einstieg in die verschüttete Anlage gelungen sei. Doch heute wirkt alles anders. Nur mühsam können wir uns ins zum erhalten gebliebenen Nord-Westturm der Bunkerruine vorarbeiten. Dort angekommen, müssen wir feststellen, dass die einstige breite Betonwendeltreppe durch die Sprengung weitgehend aus ihren Verankerungen gerissen worden ist. Nur noch einzelne Betonfragmente hängen lose an den Wänden. Etwa zwanzig Meter geht es steil in die Tiefe. Wir entschließen uns zu einem etappenweisen Abseilen unserer siebenköpfigen Gruppe.
In der nächsten Etage angelangt, erwartet uns eine weitere Überraschung. In den nach außen zu liegenden Turmräumen hängen Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von Fledermäusen an den Decken und Wänden. Anscheinend haben wir sie aufgeweckt, denn sie schreien Zeter und Mordio, ohne jedoch ihre Plätze zu verlassen. Kaum zu glauben, dass Fledermäuse so laut werden können. Schnell ziehen wir uns wieder aus diesem Bereich zurück, der den Berliner Fledermausexperten bestimmt eine ergiebige Forschungsstätte werden könnte.
Nach zwei Stunden sind schließlich alle im Erdgeschoß angelangt, wo wir unser Basislager für die weiteren Erkundungen einrichten: Isoliermatten werden ausgerollt, die Ausrüstungen ausgepackt, Batterien gewechselt, und Gudrun kocht zur Freude aller einen starken Kaffee. Wir teilen uns in drei Gruppen auf, die das künstliche Labyrinth in unterschiedlichen Richtungen erkunden sollen. Nach ungefähr drei Stunden treffen wir uns am Ausgangspunkt wieder und tauschen die ersten Erfahrungen aus. Robert, der mit Olaf und Solon die oberen Etagen inspiziert hat, bringt eine alte Bierflasche von Schultheiß mit. Auf dem Porzellanverschluss steht: »Eigentum der Luftwaffe«. Reiner und Gudrun haben auf mehreren Filmen die Innenräume dokumentiert, wobei sich herausstellte, dass für die überraschend weitläufigen Hallen unser Akku-Licht zu schwach ist. Jürgen und ich sind zum ehemaligen Osteingang vorgestoßen, über den einst bei Sirenenalarm Tausende von Menschen hereinströmten. Dort finden wir auch alte Wandbeschriftungen mit Hinweisen zum Zimmer 55, wo sich einst die »Auskunft und Einweisung« befand. Den Raum selbst gibt es allerdings nicht mehr. Durch die Sprengungen in den Jahren 1947 und 1948 sind sämtliche Innenwände, die nicht aus Stahlbeton bestanden, förmlich pulverisiert worden.
Nach dem Ende unserer Besprechung stellen wir bei einem Blick auf die Uhr fest, daß draußen bereits wieder ein neuer Tag beginnt, doch hier unten scheint die Zeit still zu stehen, und wir sind erst am Anfang unserer Erkundungen. In der nächsten Runde machen sich Jürgen, Olaf und Solon auf die Suche nach einem Kabelkanal, der laut Zeitzeugenberichten zum sogenannten Leitturm hinüberführen soll, auf dem die Funkmessgeräte zum Anpeilen angreifender Bomberverbände stationiert waren. In einer Ebene unter dem Erdgeschoß finden sie tatsächlich den Einstieg zu einem »Kriechkeller«, durch den einst alle wichtigen Leitungen verliefen. An dessen Ende stoßen sie sogar auf Gehäuse alter Funkgeräte und die Fragmente einer »Enigma«, eines Kodierungsgeräts zur Verschlüsselung von Nachrichten, doch den Übergang zum Kabelkanal finden sie nirgends. Ich beginne derweil zusammen mit Robert mit der Grobvermessung der gesamten Anlage. Per Laser-Messgerät kommen wir zügig voran. Dabei dringen wir auch in Bereiche vor, in denen wahrscheinlich seit 50 Jahren kein Mensch mehr gewesen ist. Durch Spalten zwischen geborstenen Betonplatten hindurchkletternd, erreichen wir auch den einstigen Westzugang des Bunkers. Hier liegen die beiden sechs Zentimeter dicken Stahltore, vor denen während der Luftangriffe verzweifelt viele Menschen gestanden haben, die zu spät gekommen und nicht mehr eingelassen worden sind.
Bei der nächsten Lagebesprechung berichten Reiner und Gudrun von den aufgefundenen Überresten der alten Munitionsaufzüge. Sie zeigen verrostete Metallglieder wie aus einer überdimensionierten Fahrradkette. Sie gehören zum ehemaligen Aufzugsystem, mit dem die Granaten aus den Munitionskammern im Erdgeschoß aufs Dach des Flakturms befördert wurden, wo die Flugabwehrgeschütze postiert waren. Auch Resten der Aufzugsmaschine mit riesigen Zahnrädern sind sie zwischen Betonfragmenten begegnet. Am Ende der Auswertungsrunde bemerken wir, dass bei den ersten von uns Übermüdungserscheinungen einsetzen. Kein Wunder, schließlich sind wir inzwischen 28 Stunden ohne Schlaf hier unten zu Gange. Doch jetzt, da wir eine Pause einlegen wollen, müssen wir feststellen, dass wir die Temperaturen falsch eingeschätzt haben. Zwar sind Isoliermatten ausreichend vorhanden, doch bei lediglich zehn Grad ist es kaum möglich, ohne Decken Schlaf zu finden. Nur zwei Schlafsäcke sind dabei. Wir versuchen es mit einer Art Rotationssystem. Nach wenigen Stunden für jeden beschließen wir tief im Dunkeln den Beginn des neuen Tages: Gudrun und Reiner bereiten ein improvisiertes Frühstück, ich wecke danach die »Schlafsäcke« mit lautstarken Akkordeonklängen. Nach den ersten Groborientierungen folgen jetzt die Detailuntersuchungen. Als besonders interessant hat sich der Erdgeschoßbereich erwiesen, wo neben der vermauerten nördlichen Hauptzufahrt auch die etwas tiefer liegenden Munitionskammern sind. Heute haben sich im Laufe der Jahrzehnte zwei unterirdische Seen mit klarem, türkisblauem Wasser gebildet. Beeindruckend sind auch die Überreste der gewaltigen Scharniere für die Verschlussklappen der Munitionslager. An einigen Stellen entdecken wir auch neuzeitliche Graffiti, doch Spuren einer neonazistischen Kultstätte, die es laut Zeitungsberichten hier in den 80er Jahren gegeben haben soll, können wir nicht finden. Auf dem Weg durch die Geschosse versuchen wir noch einmal, die Auswirkungen der Bunkersprengungen von 1947/48 nachzuvollziehen. Von den südlich gelegenen Bunkertürmen ist bis auf einen Bereich im Erdgeschoß nichts mehr übrig. Hier ist alles wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Im Gegensatz dazu ist die nördliche Bunkerhälfte in der Nähe der S-Bahn-Gleise über alle sechs Etagen noch erstaunlich gut erhalten. Die vier Hauptstützen in der Bunkermitte sind offenbar gezielt zersprengt worden, so dass die Zwischendecken alle durchhängen und skurril verschachtelte schiefe Ebenen bilden. Die etwa drei Meter dicken Abschlussdecke lehnt mit fast 45 Grad Schräglage an der intakten Bunkerhälfte und deckelt – ähnlich einem Sarkophag – das unterirdische Labyrinth stabil ab. Darauf befinden sich noch einmal Tausende Tonnen von Trümmerschutt.
Am Abend nähert sich unsere Expedition dann unweigerlich ihrem Ende, denn die Wasservorräte sind aufgebraucht. Wir schleppen die Ausrüstung in Richtung Aufstiegspunkt und klettern mühsam wieder nach oben. Über Funktelefon benachrichtigen wir das Außenteam, das pünktlich den Zugang wieder freilegt. Einer nach dem anderen kehren wir erschöpft in die Oberwelten zurück. Danach wird noch der Tunnel gründlich verfüllt, denn an dieser Stelle soll kein Unerfahrener unser Abenteuer wiederholen können. Zu groß wäre die Gefahr. Mit der Auswertung unseres Erkundungsmaterials sind wir einige Zeit beschäftigt. Da keine historischen Pläne mehr von der Anlage existieren, können wir nun einen ersten Aufriss fertigen. Wie sich dabei herausstellt, ist die innere Grundstruktur doch anders als in manchen Zeitzeugenerinnerungen angegeben. Auch stellen wir Abweichungen gegenüber den angeblich baugleichen Türmen am Zoo, im Friedrichshain oder dem bis heute noch intakt erhaltenen Flakturm auf dem Hamburger Heiliggeistfeld fest. Wir sind froh, mit unseren Erkenntnissen zur Geschichte dieser Bunkeranlagen einen großen Schritt vorangekommen zu sein. Sie sollen uns noch nützlich sein, denn wir haben vor, wiederzukommen.
Auszug aus dem Buch: Sirenen und gepackte Koffer – Bunkeralltag in Berlin
Anmerkung: Der nachfolgende Text entstammt dem Vereinsbericht über den Einstieg in die Ruine des Flakturms Friedrichshain im November 2004 und ist daher nicht streng wissenschaftlich gehalten.
Ein Berg in Berlin hatte es dem Verein schon lange angetan – der »Mont Klamott« im Volkspark Friedrichshain. Schon im Jahr 2001 überlegten einige Vereinsmitgliedern der AG Bunker & Luftschutzanlagen, wie es gelingen könnte, ins Innere des zweiten Berliner Flakturmes, besser gesagt, in dessen Ruine hineinzugelangen. Aufgrund der Aktivitäten, die sich an und um die Flakturmruine im Humboldthain entwickelten, musste diese Idee jedoch erst einmal hintenan gestellt werden.
Im Herbst 2004 bot sich dann eine einmalige Gelegenheit. Im Zusammenhang mit einer geplanten Dokumentation über den Verein durch den Regisseur Peter Prestel vom ZDF, der die Sendereihe »Abenteuer Wissen« betreute, entwickelte sich die Idee, hier einen Einstieg zu wagen. Die Vorbereitungen dafür starteten bereits im September. Erst einmal war es nötig, die offiziellen Genehmigungen vom zuständigen Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einzuholen. Als diese vorlagen, konnten sich die Beteiligten mit der eigentlichen Vorbereitung befassen. In mehreren Gesprächsrunden entschieden wir uns für einen Einstiegsversuch am Nord-West-Turm, der in Richtung Märchenbrunnen liegt.
Vorbereitung und Beginn der Grabung
Mehrere historische Fotografien haben uns bei der Auswahl des möglichen Einstieges geholfen. Zuerst favorisierten wir einen Grabungsversuch an einem Zugang zum Turm III von der unteren Plattform aus, ähnlich unserem Zugang in den Flakturm Humboldthain. Allerdings hätten wir hier in mühseliger Handarbeit einen etwa sechs Meter tiefen Schacht abteufen und diesen zur Sicherung entsprechend mit Bauholz absteifen müssen. Ein Einstiegsversuch in das ehemalige fünfte Obergeschoß, der eine nicht so tiefe Baugrube erfordert hätte, wurde ebenfalls verworfen. Aufgrund der Grundrisskenntnisse vom Humboldthain und der Begutachtung der Fotografien war davon auszugehen, dass das ehemalige zentrale Treppenhaus so vollständig mit Schutt aufgefüllt ist, sodass ein Durchkommen in die tiefer gelegenen Etagen nicht möglich sein würde. Schließlich entschieden wir uns, es über den Schacht des Munitionsaufzuges zu versuchen. Diese Idee wurde schließlich von allen Mitwirkenden begrüßt, denn wir hatten am Flakturm Humboldthain genügend Erfahrung mit dem dort beräumten Aufzugsschacht sammeln können. Zudem konnten wir uns eine Menge Bauholz für die nötigen Absteifungen sparen, da wir auf diese Weise vier sichere Seitenwände aus Stahlbeton hätten. Gesagt, getan – am Montag, den 1. November 2004 war es soweit. Unser Hausschlosser hatte sich dankenswerterweise bereit erklärt, den Bagger zu fahren, der pünktlich um 9.30 Uhr angeliefert wurde. Die Grabungsstelle wurde bereits in der vorangegangenen Woche eingemessen, sodass die Einfassung des Munitionsaufzuges schon nach knapp zwei Stunden Baggerarbeit erreicht werden konnte. Die Baustellenlogistik und Einrichtung wurde vom Büro aus koordiniert.
Es war unglaublich, wie schnell mit Hilfe von Großgerät die Schachtungsarbeiten voranschritten. Einige Mitarbeiter fachsimpelten darüber, wie lange es manuell mit Schippe und Spaten gedauert hätte. Mehrere Wochen wären wohl verstrichen, aber mit dem Bagger konnte mit einsetzender Dämmerung schon am ersten Tag das Ziel erreicht werden. Nun konnte der erste vom Grabungsteam einen Blick ins Innere des Flakturms zu riskieren. In der knapp fünf Meter tiefen Grube robbte er sich unter der erreichten Abschlussdecke hindurch ins Innere und kam nach wenigen Minuten wieder völlig begeistert heraus. Ein weiteres Vereinsmitglied brachte wenig später die ersten fotografischen Eindrücke mit nach oben. Auf einem Bild konnte man eine Art Girlande erkennen, die auf den ersten Blick aussah wie aus Blechdosen ausgeschnittene Buchstaben. Man konnte als Schriftzug »Welcome home« lesen – eine Hinterlassenschaft der Trümmerarbeiter? Wir beschlossen gegen 20.00 Uhr, die Baugrube zu sichern und fieberten dem nächsten Tag entgegen.
Zwei Jahre zu spät…
Nachdem am Dienstag die Absperrungen beseitigt waren, stiegen die ersten zwei Vereinsmitglieder (Reiner Janick und Charlie Noack) gemeinsam in die Anlage ein. Nach wenigen Minuten allerdings die herbe Enttäuschung – wir waren nicht die ersten! So musste sich wohl auch der Brite Robert Scott gefühlt haben, als er mit seinem Team einige Wochen nach Roald Amundsen am 17. Januar 1912 den Südpol erreichte und die norwegische Flagge vorfand. Statt einer Flagge fand unser Grabungsteam ein Begrüßungsschreiben vor, gerichtet an Reiner Janick, mit dem folgenden Inhalt:
»Sehr geehrter Herr Janick, als wir Ihren Beitrag über diesen Flakturm in der Spiegel-TV-Reportage zum Thema »Bunker in Berlin« sahen, haben wir uns von Ihrer Begeisterung anstecken lassen. Von Ihrem symbolischen Spatenstich ermutigt, griffen auch wir zu Spaten und Eimer. Wir haben immer gedacht, wir würden Sie vielleicht mal hier unten treffen. Da Sie aber nicht aufgetaucht sind, haben wir die Anlage wieder verschlossen und uns einem neuen Projekt zugewandt. Wir wünschen Ihnen noch viel Spaß und lassen Sie sich nicht erwischen. Mit freundlichen Grüßen…«
Aus einem zweiten, gegen die Feuchtigkeit einlaminierten Dokument konnten wir auch in Erfahrung bringen, wann es der unbekannten Grabungsgruppe gelungen ist, in die Flakturmruine Friedrichshain hineinzukommen:
»Wir haben in einer Regennacht am 23.07.02 mit dem Bau des Tunnels begonnen. Am 27.10.02 sind wir das erste Mal in den fünften Stock gelangt. Der Übergang zum vierten Stock entstand zwischen dem 2.12.02 und dem 25.1.03.«
Wir waren ganze zwei Jahre zu spät gekommen! Alle Anwesenden unserer Grabungsgruppe zogen ihren Hut ab vor dieser Leistung. Besonders beachtenswert war die Tatsache, dass die Unbekannten einen Übergang vom fünften ins vierte Stockwerk gegraben hatten, wofür eine kleine Deckenöffnung, die unter ca. zwei bis drei Meter Trümmerschutt verschwunden war, gefunden und freigelegt werden musste. Noch erstaunlicher war für uns die Tatsache, dass aber auch rein gar nichts über das Projekt der Tunnelgräber bekannt wurde, weder im Internet noch über andere Quellen. Eine wirklich saubere, sportliche und anerkennenswerte Arbeit, wie wir gemeinsam feststellen mussten. Vielleicht melden sich die Unbekannten ja einmal zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch bei uns? Das würde uns jedenfalls sehr freuen. Nachdem wir diesen Schock und unsere leichte Enttäuschung überwunden hatten, ging es nun aber auch für uns in die Tiefen des Berges. Wie wir bald feststellen konnten, ist die Anlage seit ihrer Einschüttung nicht mehr offiziell betreten worden, abgesehen von unseren Unbekannten natürlich. Beachtliche Dimensionen öffneten sich. Die Decken der leichter begehbaren Etagen hatten allesamt einen besseren Zustand als die durchhängenden Zwischendecken in der Flakturmruine Humboldthain. Auch die Tropfsteinformationen waren beeindruckend. Sogar über eine Entfernung von bis zu sechs Metern zusammengewachsene Stalaktiten und Stalakmiten waren zu entdecken. Durch die Sprengung sind alle Bunkerteile in Schieflage geraten. Alle Expeditionsteilnehmer hatten arge Schwierigkeiten mit der Orientierung, als es durch schrägliegende Korridore und Treppenhäuser ging, die Stalaktiten aber gerade von der Decke hingen. Das brachte den Gleichgewichtssinn ganz schön durcheinander.
… dennoch ein voller Erfolg
Je tiefer es nach unten ging, umso stärker waren dann die Etagen von der Sprengung in Mitleidenschaft gezogen. Ganz unten fiel es sogar den einschlägigen Bunkerexperten schwer, noch festzustellen, ob es sich nun um Teile des ehemaligen Erdgeschosses, des ersten oder zweiten Stockwerks handelt. Als eine der Überraschungen entdecken wir noch die 12 Zentimeter starken Stahltore an der ehemaligen Hauptzufahrt der Anlage, die nicht mehr von Schrotthändlern geborgen worden waren. Nun wurde uns allen klar, dass die Türen der Großbunker vor der Sprengung zur Verdämmung des Explosionsdruckes geschlossen wurden. Eine der Forschungsrouten führte einen Teil von uns dann hinüber in den abgesprengten Turm II, der nur über eine lange und komplizierte Kriechstrecke zu erreichen war, wohl aber zu meinem schönsten und eindrucksvollsten Erlebnis im Friedrichshain zählt. Wir entdeckten sogar noch altes Militärspielzeug und konnten gemeinsam zwei Türriegel einer Stahltür bergen, die wir unseren Besuchern im Flakturm Humboldthain zeigen werden. Auch das uns begleitende Fernsehteam ist wohl ganz auf seine Kosten gekommen. Die Aufnahmen sollten im März 2005 über die Mattscheibe flimmern. Wir alle durften also nochmals gespannt sein und sind, als es schließlich soweit war, keineswegs enttäuscht worden.
Am Mittwoch dann traf hoher Besuch ein. Professor Winfried Mengin, der Direktor des Berliner Museums für Vor-und Frühgeschichte, besuchte unsere Baustelle, gab dem Filmteam des ZDF ein Interview und sparte dabei nicht an Lob für unseren Verein. Sein feiner Zwirn ließ allerdings keinen Einstieg zu. Er kam direkt von einem Empfang der Queen zu uns. Auch der Leiter des zuständigen Grünflächenamtes zeigte sich von den Dimensionen mehr als beeindruckt. Er wusste gar nicht, welche riesigen Hohlräume sich unter seinem Volkspark noch befinden. Das Gute aber an dieser Begegnung war – ich konnte ihm die Zusage für einen erneuerten Einstieg entlocken. Da wir nun die Gefahren und Risiken kennen und abschätzen können, wollen wir einen erneuten Einstieg planen, um weiteren interessierten Vereinsmitgliedern einmal die Gelegenheit zu geben, in den Berg zu gelangen.
Wir möchten an dieser Stelle herzlich dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg für die Unterstützung und Genehmigung zu dieser Expedition danken und freuen uns auf ein Wiedersehen mit dem Friedrichshain – und vielleicht treffen wir dabei ja auch die unbekannten Tunnelgräber!
Autor: Dietmar Arnold, Stand: 28. April 2015
Das Washingtoner Nationalarchiv ist, was nur die wenigsten wissen, über die ganzen Vereinigten Staaten verteilt. Jeder Bundesstaat, sogar Hawaii und Alaska, hat seinen eigenen Ableger. Im Großraum Washington D.C. verfügt das Archiv über zwei Standorte, einen in der Innenstadt, direkt an der Pennsylvania Avenue und einem 1994 eingeweihten großräumigen Neubau in der Kleinstadt College Park in Maryland. Im Haus 1 kümmert man sich vor allem um ältere Dokumente, von der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeit bis etwa 1900, sowie um genealogische Forschungen, während Haus 2 (College Park) hauptsächlich die Zeitgeschichte bedient.
Das vorliegende Dokument stammt aus Haus 2, und zwar aus den Beständen des US War Departments (Kriegsministeriums). Die genaue Archiv-Signatur lautet: RG (=Record Group) 165, Entry 179, Box 664, SIR 1580.
Vorbemerkungen:
Das Dokument wurde gefunden und übersetzt von Ingmar Arnold im Frühjahr 2004. Anmerkungen des Übersetzers sind mit »[I.A.]« gekennzeichnet.
Die Fußnoten dienen nicht allein der Orientierung und der Information des Lesers, sondern sie sollen
vor allem eine Vorstellung davon liefern, welche Rolle Begrifflichkeiten – deren präzise Anwendung oder auch eine adäquate Übersetzung in die eigene Sprache – zum Verständnis des jeweils Anderen dienen, und handelt es sich dabei auch um den Feind. Gewissermaßen kann man sogar von einer Art »Rückübersetzung« sprechen. So werden dann bis zu einem gewissen Grade die leider in diesem Dokument nicht beigefügten Mitschriften der Verhöre des Gefreiten Langer, die sicherlich auf Deutsch geführt worden sein dürften, wieder sichtbar. Und erstaunlich ist schon, wie häufig die Alliierten auf die deutsche Terminologie zurückgreifen.
Das Dokument weist definitiv einige Fehler sowie Diskrepanzen zu dem uns heute vorliegenden Kenntnisstand zur Nutzung einzelner Etagen und Bereiche aus, die aus anderen Dokumenten und Zeitzeugenberichten schlüssig zusammengetragen werden konnten. Wir möchten diese hier nicht im Einzelnen aufzeigen oder kommentieren, sondern das vorliegende Dokument für sich stehen lassen. Die Ursachen für fehlerhafte Angaben können dabei vielfältig sein, z.B.:
1. Der Verhörte verfügte über nicht korrekte Informationen.
2. Der Verhörte verfügte zwar über korrekte Informationen, gab diese jedoch aus seiner Erinnerung falsch wieder.
3. Der Verhörende erfasste die erhaltenen Informationen falsch.
4. Fehler bei der Übermittlung oder Übersetzung.
Das Dokument
CSDIC (UK)1 – SIR 15802 – 29. März 453
–DIESER BERICHT IST GEHEIM.–
Bericht über weitere Informationen, die aus den Aussagen des KG CS/1621, des Gefreiten Langer des Wehrmachtnachrichten-Kommando-Regiments 3014 gewonnen werden konnten, der am 6. März 1945 in Godesberg gefangen genommen wurde.
DIE FLAKTÜRME IM HUMBOLDTHAIN, BERLIN
(GSGS 4480 Stadtplan von Berlin, Blatt 1, D 12, etwa bei 4020, südlich der Bahnstrecke)5
Dieser Bericht sollte im Zusammenhang mit dem SIR11756 gelesen werden.
EINLEITUNG
1.) KG7 ist ein junger Techniker, der vor und während des Krieges für Telefunken gearbeitet hat. Er ist ein Anti-Nazi, hat seinen Beruf im September 44 verlassen und lebte sechs Monate lang versteckt in Godesberg, um dort die Ankunft der Alliierten Armeen abzuwarten. KG ist kooperativ, seine Aussagen sind, gleichwohl vom begrenzten Umfange, als verlässlich zu betrachten.
2.) Vor dem Krieg war KG bei der Telefunken-Niederlassung in Köln beschäftigt. Im März 1944 kehrte er auf unbefristetem Urlaub als ziviler Rüstungsarbeiter von der Wehrmacht zu seiner Firma zurück, bis ihm aufgetragen wurde, für eine Versuchsabteilung [der Firma Telefunken, I.A.] zu arbeiten, die im Flakturm im Humboldthain eingerichtet worden war. KG war auch in einem Raum in der 5. Etage, der von [der Firma] SIEMENS genutzt wurde. (Siehe Annex 1, Punkt 25)
DER FLAKTURM
ALLGEMEINE BESCHREIBUNG
3.) Es gab zwei Türme, die in einem dichten Abstand zueinander gebaut wurden. In jenem Turm, wo KG gearbeitet hat, gab es Flakgeschütze, während auf dem anderen ein »Würzburg-Gerät«8 montiert war. Beide Türme wurden zudem als Schutzräume für die Zivilbevölkerung genutzt.
DIE BAUWEISE DER TÜRME
4.) Der Turm selbst war quadratisch, 50 m breit und 45 m hoch. Der andere Turm war mit DF-Ausrüstung9 ausgestattet und etwa 10 m niedriger. Es gibt keine weiteren Details zu diesem »Würzburg-Turm«.
5.) An sämtliche vier Ecken des Gefechtsturms wurde zusätzlich noch jeweils ein achteckiger Panzer-Turm angebaut, der bis auf die oberste Spitze dieses Bauwerkes hinaufreicht. Die Dächer dieser Türme bildeten dann die Plattformen für die Geschütze. Das Dach mit einbezogen, verfügte der Gefechtsturm über insgesamt sechs Stockwerke. Zudem gab es einen 6 Meter breiten »Balkon«, welcher außen ganz um die fünfte und sechste Etage herum ausgelegt wurde. Dieser wurde für die Zwei-Zentimeter-Geschütze verwendet. (siehe Annex 2).
6.) Die Betonstärken des Gefechtsturms waren folgende: Dach 4, 50 Meter, Wände: 3,50 Meter, jede Etage: 1 Meter.
7.) Zwei Fahrstühle waren in diesem Turm eingebaut. Sie reichten bis in die fünfte Etage und wurden sowohl vom KG als auch vom zivilen Personal benutzt.
8.) Jede Etage hatte jeweils fünf Fenster an der Nord- und an der Südseite, aber keine Fenster, die nach Osten oder nach Westen ausgerichtet waren. Während der Luftalarme wurden die Fenster mit Stahlblenden abgedichtet.
GRUNDRISS
9.) Zum Turm-Grundriss, nach den Etagen ausgerichtet, siehe Annex 1 und Annex 2.
DIE DIENSTRÄUME VON TELEFUNKEN
ZUWEISUNG
10.) Telefunken begann mit der Versuchs- Abteilung im Flakturm, nachdem die Hauptproduktionsstätte [dieser Firma, I.A.] in Berlin-Zehlendorf ausgebombt worden war. KG weiß nicht, wann genau diese Abteilung eingerichtet wurde, vermutlich kurze Zeit, bevor er dorthin versetzt wurde (März 44).
11.) Die Versuchs-Abteilung belegte jeweils die Hälfte [der Fläche] zweier Etagen, genauer gesagt, der ersten und der zweiten Etage. Die Abteilung setzte sich aus drei Unter-Abteilungen zusammen, von denen sich diejenigen mit der Bezeichnung EB 1 und EB 14 auf der ersten Etage befanden, EB 9 auf der zweiten.
12.) KG konnte diese Begrifflichkeiten nicht erklären. (Bekannt ist jedoch, dass bei Telefunken der Buchstabe »E« für den Forschungs- und Erprobungsbereich in der Fabrik verwendet wird).10
FUNKTION
13.) Die Aufgabe des KG bestand darin, Experimente mit der Radarausstattung durchzuführen. Solange er da war (6 Monate), arbeitete die Abteilung an den beiden Ausrüstungen »Rotterdam X« und »Naxos 2«. Zu diesem Zweck waren so- wohl EB 1 als auch EB 14 mit Labors und Werkstätten ausgestattet. Sie hatten auch eine kleine Kabine auf dem Dach, wohin der Maschinenapparat zum Testen gebracht wurde. Das Testen scheint darin zu bestehen, die Ausrüstung auf vorbeifliegende Flugzeuge zu richten, um zu sehen, ob diese auch funktioniert.
14.) EB 9, auf der darüber liegenden Etage, fertigte Ersatzteile an. Deren Ausstattung umfasste unter anderem Maschinen zur Verarbeitung und zum Schneiden sowie mechanische Sägen.
BELEGSCHAFT
15.) Diese wechselte. Im Durchschnitt befanden sich 12 Männer in der Werkstatt, weitere 25 Techniker in den Labors. Es waren niemals alle zugleich anwesend, denn manche Techniker wurden in andere Niederlassungen von Telefunken gesandt, so nach Breslau und Reichenberg.
16.) Von den ungefähr 40 beschäftigten Männern war etwa die Hälfte in der Wehrmacht und befand sich nun, wie KG auch, auf unbefristetem Urlaub.
DIENSTZEITEN
17.) 7.30 Uhr bis 9 Uhr. 9.15 Uhr bis 13 Uhr. 13.30 Uhr bis 18 Uhr. Mittwochs wurde die Arbeit um 16 Uhr beendet, sonntags war frei. Es gab keine Nachtschicht.
ARBEITSMATERIAL
18.) Sowohl das Arbeitsmaterial als auch die Gerätschaft wurden von der Hauptproduktionsstätte in Zehlendorf herangeschafft.
ANORDNUNGEN
19.) Darüber wusste KG nichts zu sagen. Er wusste jedoch, dass es eine telefonische Verbindung zwischen der Abteilung und der Hauptproduktionsstätte in Zehlendorf gegeben hat. Außerdem wurden Zeichnungen zwischen der Abteilung und der Hauptproduktionsstätte ausgetauscht.
LUFTVERTEIDIGUNG UND BELEGSCHAFT
20.) Eine 200 Mann starke Belegschaft der Luftwaffe befand sich ganztägig im Turm. Ihre Pflichten umfasste nicht nur die Bedienung der Flakgeschütze, sondern die Männer fungierten auch als Ordnungs- und Luftschutzkräfte während der Luftalarme. Außerdem waren 40 Russen beschäftigt, Freiwillige, welche dieselben Uniformen trugen wie die deutsche Belegschaft.
21.) KG konnte keine Einzelheiten über die Flakeinheit oder über die Geschützausbildung mitteilen.
MEDIZINISCHE BETREUUNG
22.) Es gab in der 3. Etage einen Doktor (»Oberstabsarzt«)11 sowie fünf Hilfspfleger. Ihre Pflichten umfassten sowohl die Betreuung ziviler Verwundeter als auch der Luftwaffen- Belegschaft.
BEWAFFNUNG
23.) Auf den Dächern der Panzertürme: jeweils ein 12.8 Zwillings-Flakgeschütz.12 Auf dem Balkon: zwei 2 cm-Vierling- und zwei einfache 2 cm-Flakgeschütze.
MUNITION
24.) KG hat in der 5. Etage Munition auf dem Boden liegen sehen und glaubt, dass diese mit Lastwagen herangeschafft und dann mit dem zentralen Fahrstuhl nach oben befördert worden ist.
ZUWEISUNG DER ETAGEN
25.) Abgesehen vom Dach waren noch drei weitere Etagen von der Luftwaffe belegt. Das Krankenzimmer war auf den dritten, die Schlafquartiere auf der vierten und die Munition auf der fünften Etage. (Siehe Annex 1 und 2).
SICHERHEITSMASSNAHMEN UND AUSWEISE
26.) Alle zivilen Mitarbeiter von Telefunken wurden mit Ausweisen ausgestattet. Sie erhielten außerdem einen zweiten Ausweis mit einem Lichtbild. Dieser Ausweis wurde nach BRESLAU zum Einschweißen geschickt. Dabei wurde das Foto auf mechanischem Wege in den Ausweis gepreßt und das ganze wurde daraufhin mit Zelluloid umhüllt. Dieser Vorgang dauerte ungefähr drei Monate, und in der Zwischenzeit erhielten die Beschäftigten eine vorläufige Green Card. Diese wurde von Telefunken ausgestellt und war als »Werksausweis«13 geläufig.
27.) Die Angestellten erhielten zudem eine rosafarbene »Erlaubniskarte«14 (eine Abbildung davon im Annex 3). Nur vier Männer – HAGEDORN, KEMPER, WEDE und KG – hatten die Erlaubnis, aufs Dach zu gehen, um Experimente durchzuführen. Auf ihren rosafarbigen Karten waren die Worte »einschließlich Plattformen«15 getippt. Diesen vier Männern war zwar gestattet, den Telefunken-Apparat auf dem Dach zu benutzen, es war ihnen aber streng verboten, sich den Flakgeschützen zu näheren.
DIE WÄNDE
28.) Zwischen den Bereichen in der ersten und zweiten Etage, die von Telefunken genutzt wurden, und denjenigen, die für Zivilisten vorgesehen waren, gab es eine Ziegelmauer. Diese war allerdings nicht schalldicht.
WACHEN
29.) – 1.) Am Haupttor (im Erdgeschoß): ein Luftwaffen-Wachposten. 2.) Unmittelbar am Haupttor befand sich ein Luftwaffen-Offizier,16 dessen Aufgabe darin bestand, die eintretenden Personen zu kontrollieren, ihre Besonderheiten in einem Buch zu notieren und ihnen eine Zeitkarte auszustellen, die sie zum Besuch des Gebäudes berechtigte. 3.) Auf der 5. Etage am Ausgang vom Fahrstuhl: ein Luftwaffen-Wachposten.
WERKSCHUTZ17
30.) KG hat nur vier Werkschutz-Männer gesehen. Zwei von ihnen arbeiteten in seiner Abteilung, die beiden anderen auf der zweiten Etage. Da es keine Nachtschicht gab, hatte der Werkschutz folgendes zu erledigen: a) die Ausweise an den Türen zu der Abteilung zu kontrollieren (Annex 1, Punkt 11); b) sicherzustellen, dass die zweite Tür ständig geschlossen gehalten wurde (Annex 1, Punkt 14), c) nach Beendigung der Arbeit eine halbe Stunde länger zu bleiben als die übrigen Angestellten, um sicherzustellen, dass die Tür (Punkt 11) auch abgeschlossen wurde; d) morgens vor den übrigen Angestellten auf der Arbeit zu erscheinen, um die Tür wieder aufzuschließen, damit diese eintreten konnten.
31.) Um einen Apparat mit aufs Dach nehmen zu können, musste KG die Dienst habenden Werkschutzmänner um den Türschlüssel bitten, damit er den zentralen Fahrstuhl benutzen konnte. (Annex 1, Punkt 14).
DER FLAKTURM ALS LUFTSCHUTZBUNKER
FASSUNGSVERMÖGEN
32.) KG konnte keine Hinweise zum Gesamt-Fassungsvermögen des Bunkers liefern. Er bemerkte jedoch, dass es ungefähr 1 ½ Stunden gedauert habe, bis der Bunker gefüllt war, und die Menschen strömten »in Massen« hinein. 4 Etagen wurden von zivilen Schutzsuchenden genutzt, d.h. die Bereiche, die weder von Telefunken noch von der Luftwaffe benutzt wurden.
SCHÄDEN DURCH LUFTANGRIFFE
33.) Der Flakturm hat in einer Nacht im Mai 1944 einen direkten Treffer erhalten. Ein Kollege. der in jener Nacht im Turm schlief, erzählte dem KG, dass der Turm kräftig erschüttert wurde. Die Luftwaffen- Belegschaft verhielt sich, was dieses Vorkommnis anbelangt, danach recht schweigsam, KG weiß nicht, ob es sich dabei um eine schwere Brandbombe oder um eine hochexplosive Bombe gehandelt hat.18
PERSÖNLICHKEITEN
34.) Grimm: Leiter der Abteilungen EB 1 und EB 14. 40 bis 44 Jahre alt, 1,75 m groß. Koch, Dr.: Chef der Abteilung EB 14.19 Ungefähr 30 Jahre alt, 1,70 m groß, dunkles Haar. Im Sommer 44 mit dem »Kriegsverdienstkreuz«20 ausgezeichnet. Lebt in Zehlendorf.
INGENIEURE
35.) Kemper: EB 14, 29 Jahre alt, 1,80 m groß, blondes Haar. Lebt in Zehlendorf. Anti-Nazi. Enke*: EB 14. Ungefähr 35 Jahre alt, 1,65 m groß, blondes Haar. Hat vor dem Krieg bei Siemens gearbeitet. Lebt in Siemensstadt. Anti-Nazi.
SONSTIGE TECHNIKER
36.) Grefnitz: Werkschutz-Mann. 45 bis 50 Jahre alt, 1,75 groß, graues Haar. Anti-Nazi. Hennig: EB 14. 22 Jahre alt, 1,75 groß, blondes Haar. War ein HJFührer. Nazi. Hagedorn*: 30 Jahre alt, 1,80 m groß, dunkles Haar. Anti-Nazi. Wede, Friedrich*: Mechaniker, 21 Jahre alt, 1,75 m groß, blondes Haar. Mitglied der SA. Zimmermann, Franz*: Drehbank- Mechaniker. 30 bis 32 Jahre alt, dunkles Haar. Lebt in Philippsburg bei Mannheim. Anti-Nazi. Geizenhauer: Technischer Zeichner. 40 Jahre alt, 1,65 m groß, gebürtiger Österreicher. War ein strammes Parteimitglied in Österreich. Fritz, Wilhelm*: Drehbank-Mechaniker. 35 Jahre alt, graues Haar. Lebte in Berlin-Lichtenberg. Naumann: EB 1. 28 Jahre alt, blondes Haar. Hesse: EB 1, Elektriker, 19 Jahre alt, schwarzes Haar. Lebt in Berlin-Charlottenburg. Siegmann: EB 1. 35 Jahre Alt; dunkles Haar. Anti-Nazi. Heinerichs: EB 1. 35 Jahre alt, dunkles Haar. Im Rheinland geboren. Unfried: Vorarbeiter im EB 9. 40 [Jahre alt], 1,70 m groß. Lebt in Berlin-Neuenhagen.21 Anti-Nazi. Pitsch: Mechaniker im EB 9. 30 Jahre alt, ein »Betriebsobmann der Arbeitsfront«.22 Strammer Nazi. Wend: Mittleren Alters, 1,60 m groß, blondes Haar. Degenhardt: 30 Jahre alt, 1,65 m groß, verheirat. Rheinländer von Geburt. Anti-Nazi. Schorleder*: Mechaniker. 30 Jahre alt, 1,80 m groß, dunkles Haar. Lebt in Berlin- Marienfelde. Offenbar ein Anti-Nazi. Brochnow: Leiter der Abteilung EB 9. 35 Jahre alt, rötliches Haar, Nazi.
HAUPTPRODUKTIONSSTÄTTE ZEHLENDORF
37.) Reuchert: Ein Ingenieur bei der Luftwaffen-Abnahmestelle in der Hauptproduktionsstätte von Telefunken. Vor dem Krieg arbeitete er in der Kölner [Telefunken-] Niederlassung.
GESTAPO-AGENT
38.) Dunke: Schriftführer. Dieser Mann hat sich dem KG als ein Mitglied der Gestapo offenbart, als er bei einer bestimmten Gelegenheit zu Disziplinarmaßnahmen griff. Während des Krieges von 1914–1918 verwundet, geht am Stock. 42 Jahre alt, 1,70 m groß, blondes Haar.
ANMERKUNG:
Die mit einem Sternchen (*) versehenen Männer hatten bereits in der Wehrmacht gedient und befanden sich, wie der KG, im Sommer 44, auf unbefristetem Urlaub.
CSDIC (UK) 29. März 1945
Verteiler:
MI 19 (a) War Office (85 Kopien)
NID Admiralty (4 Kopien)
ADI (K)23 Air Ministry (6 Kopien)
CSDIC (UK) – SIR 1580 – 29. März 45
ZEICHENERKLÄRUNG ZU ANNEX 1 UND 2
1.) Haupttor. Ein Außen-Wachposten.
2.) Kleiner Raum, der vom NCO-Luftwaffen-Offizier benutzt wurde.
3.) Korridore zu den Flügeltürmen.
4.) Wendeltreppe innerhalb des Geschützturmes.
5.) Wendeltreppe für die Mitarbeiter Telefunken.
6.) Hauptfahrstuhl.
7.) Haupttreppe.
8.) Waffenlager (Luftwaffe).
9.) Dieselmotoren, um Notstrom zu produzieren.
10.) Zusätzlicher Fahrstuhl.
11.) Tür zu den Telefunken-Diensträumen außerhalb des Geschützturmes.
12.) Werkstätten.
13.) a-d) Labors der Abteilungen EB 1 und 14.
14.) Innentür zum Zentralfahrstuhl.
14a) Ziegelmauer.
15.) Hauptraum der Etage, von zivilen Schutzsuchenden genutzt.
16.) Von der Abteilung EB 9 genutzter Bereich.
17.) Schlafraum für die Zivilbevölkerung.
18.) Krankenzimmer für die Luftwaffen-Belegschaft.
19.) Operationssaal.
20.) Arzt-Raum.
21.) Speisesaal für die Luftwaffen-Belegschaft.
22.) Küche.
23.) Schlafquartiere für die Luftwaffe.
24.) Flak-Munitions-Stapel.
25.) Betriebsraum von SIEMENS.
26.) Wachposten.
27.) 12.8 cm-Zwillings-Flakgeschütze.
28.) Betonbrüstung zum Schutze der Geschütz-Mannschaften.
29.) Einfaches 2-cm-Geschütz.
30.) 2 cm-Vierlings-Flakgeschütz.24
31.) Plattform mit Entfernungsmesser.
32.) Luftabwehr-Kontrollraum.
33.) Versuchshaus der Telefunken-Belegschaft.
34.) Äußere Stufen.
35.) Tür vom »Balkon« ins Flakturm-Innere.
36.) Fenster mit Stahlblenden.
37.) Schmaler Keller, 1,30 m tief. Von Telefunken als Lager genutzt.
38.) Stufen von der 5. Etage zum »Balkon«.
Fußnoten
1 CSDIC = Combined Services Detailed Interrogation Center. UK steht für »United Kingdom«.
2 SIR = Special Intelligence Report.
3 Im Original befinden sich auf Seite 1 noch die Daten: 16. April bzw. 17. April 1945. Sie dürften sich darauf beziehen, wann dieser Bericht nach Washington ins Kriegsministerium gelangt ist – fast drei Wochen nach seiner Niederschrift.
4 im Original: »PW CS/1621 Gefr. Langer, Wehrmachtnachrichten Kdtr. 301«.
5 »GSGS« = »Geographical Section, General Staff«, das ist sozusagen der Kartographische Dienst der US Army. Die Angaben beziehen sich auf ein bestimmtes Planquadrat in einem von den Alliierten verwendeten Stadtplan Berlins.
6 Dabei handelt es sich um Informationen über Flaktürme in Berlin allgemein, die von dem Gefreiten Rosenau des Luftnachrichtenregiments Horchregiments West nach seiner Gefangennahme am 6. September 1944 in Oudenarde/ Belgien gewonnen wurden.
7 im Original: »PW« (= »Prisoner of War«, Kriegsgefangener)
8 im Original deutsch.
9 Die Bedeutung der Bezeichnung: »DF« bleibt vorläufig noch unklar. Möglicherweise steht sie für: »Direction Finder«.
10 Die Bedeutung der offenbar deutschen Abkürzung »EB« muß vorerst noch als ungeklärt bezeichnet werden. Möglicherweise steht sie für: »Erprobungs-Bereich«.
11 im Original deutsch.
12 im Original: »On turret roofs: each two 12.8 twinmounted AA guns.«
13 im Original deutsch.
14 im Original deutsch.
15 im Original deutsch.
16 im Original: »a Luftwaffe NCO officer« – NCO = non-commissioned officer. Dabei handelt es sich also offenbar um einen Offizier von sehr niedrigem Rang, ohne bedeutende Befehlsgewalt.
17 im Original deutsch.
18 im Original: »a heavy incendiary or a HE bomb«.
19 Der Unterschied zwischen den Bezeichnungen »head« (für Grimm) und »chief« (für Koch) wird nicht ganz ersichtlich. Vermutlich stand Grimm in der Hierarchie aber über Koch.
20 im Original deutsch.
21 Hier irrt der Geheimdienst. Neuenhagen war und ist kein Teil Berlins.
22 im Original deutsch.
23 »MI« = Britischer Militär-Geheimdienst; »ADI« = wohl: American Defense Institute; »NOI« = wohl: »Note of Intent«, letztere Abkürzungen bleiben allerdings vorläufig unklar.
24 im Original: »Flak Vierling 2 cm guns«.
Im Rahmen des Ersten Internationalen Unterwelten-Kongresses in Wien, der vom 18. bis 20. November 2005 stattfand, hatten es uns »die Wiener« ermöglicht (den Verantwortlichen sei an dieser Stelle herzlich gedankt!), dem Flakturm im Wiener Stadtpark Augarten einen Besuch abzustatten. Insgesamt elf Mitglieder des Berliner Unterwelten e.V., aber auch die anderen Gäste des Kongresses, die zum Teil eigens aus anderen Ländern angereist waren, nutzten diese einmalige Gelegenheit zu einem persönlichen Besuch vor Ort. Wer den Flakturm bislang noch nicht kennengelernt hat, der sollte allerdings auf einige sehr unangenehme Überraschungen vorbereitet sein.Zum einen wird der Turm seit dem Jahr 1946 mehr oder weniger ununterbrochen von Tauben bevölkert, zum anderen ist das im Inneren liegende Treppenhaus, dessen Geländer nicht mehr vorhanden sind, über 40 Meter hoch, so daß Personen mit Taubenallergie oder mit Höhenangst von einer Begehung dringend abzuraten ist. Am Zugang zum Bunker wurden an alle Teilnehmer der Begehung Staubmasken ausgeteilt, eine obligatorische Sicherheitsvorkehrung, auf die nicht verzichtet werden darf. Bereits im Eingangsschleusenbereich überlegte ich mir wieder umzukehren, da mir schon dort fast übel wurde. Taubenkadaver jeglicher Verwesungsstufen lagen überall herum, dazwischen immer wieder halbtote Vögel in den letzten Zuckungen. Es war schwer, an manchen Stellen überhaupt noch ein freies Fleckchen zu finden, wo man hintreten konnte.Beim Aufstieg nach oben wurde es sogar noch schlimmer. Bei den Wendeltreppen mußte man darauf achten, nicht auf die hier überall vorhandenen Taubennester zu treten, zumal in ihnen noch fast überall rohe Eier lagen. Sehr eklig war es, konstatieren zu müssen, wie die Tauben ihre Nester oft in die Skelette ihrer Vorfahren hineingebaut hatten. Auch die Guanoschicht aus Taubenkot gewann von Stockwerk zu Stockwerk an Stärke. Besonders übel war es, an den im Treppenraum aufgehängten Neonleuchten vorbeizukommen. Die von unseren Aktivitäten im Innern des Flakturms aufgeschreckten Tauben, deren Gesamtzahl ich auf etwa 1.500 bis 2.000 schätzen möchte, flogen teilweise ziellos durch den Treppenraum und knallten wie irre gegen die Lampen, wohl in der Annahme, durch diese Lichtquelle könne man ins Freie gelangen. Es hieß also beim Unterqueren der Lampen immer: »Gut aufgepaßt und schnell durch!«, bevor wieder eine der »Flugratten« aus der Finsternis schoß und über dem eigenen Kopf gegen die Lampen schellte.Ich schätze, so mancher hätte sich in einem solchen Moment wirklich übergeben, auch hätten in einem solchen Fall die inzwischen unentbehrlichen und »überlebensnotwendigen« Staubmasken nicht mehr viel geholfen. Den Moment, wo man in einen mit ca. 500 Tauben gefüllten Raum hineinblicken konnte, die wie blöde gegen ein Gitter flogen, werde ich nicht vergessen. Alfred Hitchcocks »Vögel« sind nichts dagegen. Dazu die ständige Obacht, auf den ungesicherten Treppen bloß keinen Fehltritt zu machen, denn der wäre hier tödlich gewesen. Schwindelerregende Blicke in die Tiefe vervollständigten das infernalische Gesamtbild.
Ein erstes Durchatmen war erst möglich, als wir die untere Geschützplattform erreicht hatten. Der Ausblick, den wir von hier aus über die Stadt Wien genießen konnten, entschädigte uns aber über alle Maßen für die Strapazen des Aufstiegs.
Bei diesem letzten Flakturm sind die Sockel für die leichten Flakgeschütze zur Verteidigung gegen Tiefflieger nicht mehr fertig gestellt wurden. Auch die Beschädigungen, die der Turm abbekommen hatte, als 1945 eine der Munitionskammern in die Luft flog, waren beeindrukkend. An der unteren Plattform war dies an deren Schieflage im Detonationsbereich, aber auch an den großen Rissen im Stahlbeton nur schwer zu übersehen. Nachdem alle »Expeditionsteilnehmer« die untere Plattform ausgiebig in Augenschein genommen hatten, ging es weiter nach oben zur Geschützplattform.
Dankenswerterweise nahm Reiner Janick als erster unerschrocken den Aufstieg in Angriff, mußte aber selbst erst einmal zurückweichen, da ihm etwa ein Dutzend Tauben aus dem Dunkeln entgegen geschossen kamen. Erst nachdem er den Weg nach oben als: »Frei!« meldete, kam es mir in den Sinn, ihm zu folgen. Die obere Geschützplattform stellte die bisher genossene Aussicht noch einmal völlig in den Schatten, da hier ein wirklich grandioser und ungestörter 360-Grad-Rundumblick auf die Donaumetropole Wien möglich ist.
In zwei Geschützbettungen lagen sogar noch Reste der Geschütze herum, tonnenschwere Metallverschlüsse, bei denen es nicht zu übersehen war, daß kurz vor der Kapitulation die Kanonen mit der letzten Granate gesprengt worden sind.
In einer Geschützbettung folgte dann schließlich das obligatorische Gruppenfoto, nachdem wir alles in aller Ausführlichkeit gründlich in Augenschein haben nehmen konnten. In der früh einsetzenden Dämmerung – schließlich war es November – begann dann bald wieder der Abstieg, und noch einmal mußten wir das Taubeninferno durchqueren, nun allerdings innerlich etwas besser auf das Bevorstehende vorbereitet. Unten wieder angelangt, waren die meisten Teilnehmer froh, diese wirklich spezielle Wiener Gruft (an Grüften hat die Stadt ja einiges zu bieten) wieder zu verlassen.
Fü mich war es eine der eindrucksvollsten, wenngleich auch brechreizerregensten Erkundungstouren, die ich jemals mitgemacht habe. Es bleibt der Stadt Wien zu wünschen, daß sie diesem Bazillen- und Parasitenherd im Augarten eines Tages zu Leibe rückt, alle Einfluglöcher abdichtet und den als Denkmal eingetragenen Turm vielleicht einmal zu Ausstellungs- und Aussichtszwecken herrichten wird. Und vielleicht ließe sich ja sogar ein Teil der Kosten über den Abbau von Guano refinanzieren? Die dickste Schicht, die ich entdecken konnte, war – von mir grob geschätzt – über 2,5 Meter stark!
Dieser Artikel erschien in der vereinsinternen Zeitschrift Schattenwelt im Jahr 2005, Nr. 4. Autor: Dietmar Arnold
Ein Praktikant des Berliner Unterwelten e.V. machte bei einem Aufenthalt in den USA eine überraschende Entdeckung. Auf einem Militärareal bei Aberdeen im Bundesstaat Maryland befindet sich eine Freiluftausstellung mit deutscher Waffentechnik aus dem Zweiten Weltkrieg. Bei einem der Exponate handelt es sich – soweit bekannt – um die letzte erhaltene 12,8 cm Zwillingsflak. Diese Hochleistungsgeschütze waren auf den Flaktürmen in Berlin, Hamburg und Wien eingesetzt und ausschließlich für den Einsatz auf ortsfesten Sockeln konzipiert.
Nach einer Zusammenstellung des Gerneral-Quartiermeisters, im Generalstab der Luftwaffe, waren im Februar 1945 insgesamt 38 Geschütze, 12,8 cm Flak-Zwilling 40 auf ortsfesten Bettungen aufgestellt. Wenn man von insgesamt 8 Flaktürmen mit jeweils 4 Geschützen ausgeht, (die Einzel-Geschütze auf dem G-Turm im Wiener Augarten wurden erst im August 1944 gegen Flak-Zwillinge ausgewechselt), sind im ganzen Reichsgebiet nur 4 weitere Flak-Zwilling 40 in festen Stellungen aufgestellt worden. Die Verlegung dieses 27 Tonnen schweren Geschützes war nur zerlegt auf einem Sonderanhänger 203 mit einer Transportbrücke möglich.
Der einzige Flakturm, der in der Nachkriegszeit im amerikanischen Zuständigkeitsbereich lag, war der Flakturm Stiftskaserne im 7. Bezirk von Wien (in der dortigen amerikanischen Besatzungszone). Dem nachfolgenden Text über das Geschütz von Aberdeen, der auch im englischsprachigen Original wiedergegeben ist, ist jedoch zu entnehmen, daß das in Aberdeen ausgestellte Geschütz zu den wenigen Flak-Zwillingen gehört haben muß, die nicht auf Flaktürmen zum Einsatz kamen. Es diente in Bremerhaven zum Schutz der kriegswichtigen Hafenanlagen vor Luftangriffen und hätte bei einem alliierten Angriff von See her sicher auch gegen Schiffe eingesetzt werden sollen. Nach Kriegsende gelangte das Geschütz in die Hände der Amerikaner, die es nach Aberdeen überführten.
»This piece was developed in 1936-37 at Rheinmetal, and with its automatic loaders could deliver a fast rate of fire. The projectiles weighed about 55 pounds, and their velocity exceeded 1100 Meters per second, it enjoyed a ceiling of 50,000 feet. This unit, of which there were two such twins came from the end of the Mole (dock) at Bremerhaven. One was badly damaged by sabotage, while this one – the charges failed and we were able to recover and get it to Aberdeen Proving Ground, Maryland, USA. This type is a fortification piece, was never intended for mobile carriage. The gun is still serviceable.«
Deutsche Übersetzung: »Dieses Geschütz wurde in den Jahren 1936-1937 bei Rheinmetall entwickelt. Durch seine automatische Ladevorrichtung konnte es eine sehr hohe Feuergeschwindigkeit erreichen. Die Projektile wogen ungefähr 55 Pfund [ca. 25 kg]. Die erreichbare Gipfelhöhe betrug 50.000 Fuß [ca. 15,24 km], wobei die Geschwindigkeit der abgefeuerten Geschosse 1.100 Meter pro Sekunde überschreiten konnte. Dieser Geschütztyp war niemals für den Einsatz auf mobilen Trägern vorgesehen, sondern ausschließlich für eine stationäre Verwendung in Befestigungs- bauwerken. Das hier gezeigte 12,8 cm Flak-Zwillingsgeschütz sowie ein weiteres standen ursprünglich auf einer Mole in Bremerhaven. Da das andere jedoch durch Sabotage stark beschädigt wurde, bei diesem hatten die Sprengsätze nicht gezündet, konnte nur ein Geschütz zum Testgelände in Aberdeen, Maryland, USA gebracht werden. Die Kanone ist noch immer funktionsfähig.«
Der Autor des englischsprachigen Textes verwendete für die Zerstörung der Geschütze das Wort »Sabotage«. Leider ist der Begriff recht ungenau und bietet Raum für Spekulationen. Vom heutigen Standpunkt ist es schwer, die nur sehr vage beschriebenen Ereignisse nachzuvollziehen, wahrscheinlich ist aber, dass deutsche Truppen die Zerstörung durchführten, um zu verhindern, dass diese hochentwickelten Waffen den Alliierten in die Hände fallen. Nur dem glücklichen Umstand, dass die Sprengung in einem Fall fehlschlug, ist es zu verdanken, dass dieser vermutlich letzte 12,8 cm Flak-Zwilling erhalten geblieben ist.
Erst bot sie Schutz, dann war sie beerdigt und später verloren gegangen. Doch jetzt ist es gelungen, die Spur eines Ungetüms aufzunehmen: der schweren Stahltür des Flakbunkers Zoo, der, von den Engländern gesprengt, dann von den Deutschen übererdet und wieder freigelegt, schließlich von der OXYGEN gesprengt wurde. Vermutlich wurde sie auf dem Gelände des Bauhofes des Abrißunternehmens Zoo in der Hertzallee in den 50er Jahren zwischen all dem Betonschutt gefunden. Sie konnte nicht zusammengepreßt werden wie alle anderen Eisen- und Blechteile, sie konnte nicht geschnitten werden wie die Bewehrungseisen. Die 6 cm starke und über 2 m hohe sowie über 1m breite Panzertür fand Verwendung in den Werkstätten des Berliner Zoos, der das Gelände des ehemaligen Bauhofes übernommen hatte. Die Verwendung: Schweißtisch. Allerdings gibt es keinen Anhaltspunkt auf ihre ursprüngliche Verwendung, weder Griffe noch Öffnungen, Gravuren oder identifizierbare Ausformungen. Es war dem Biologen und Leiter der Zoo – Werkstätten Heiner Klös zu danken, daß er auf Anfrage der Herkunft dieses Schweißtisches nachging und die Antwort erhielt, die stamme vom Zoobunker. Und da der Zoo ein tradionsbewußtes Unternehmen ist, käme diese schwere »Tischplatte« auch nicht fort. Falls doch eines Tages die Stahltür für den Zoo entbehrlich werden sollte, würde sie ein wunderbares Exponat für den Flakturm Humboldthain abgeben. Links die ersten Fotos dieses Ungetümes.
Hinweis
Dieser Artikel erschien in der vereinsinternen Zeitschrift Schattenwelt im Jahr 2007, Nr. 2.
Autor: Michael Foedrowitz
An einem Freitagnachmittag im Frühjahr 2009 besuchten zwei Vereinskollegen den technischen Bereich des Krankenhauses im Friedrichshain, in dem einer der beiden fast 20 Jahre zuvor seinen täglichen Arbeitsplatz hatte. Besonderes Augenmerk galt der Schlosserei, beziehungsweise einem besonderen Einrichtungsgegenstand derselben, einem Schweißtisch. Auch dieser Tisch besteht, so wie der Schweißtisch in den Werkstätten des Zoologischen Gartens, aus einer Flakturm-Tür. Nach Aussage ehemaliger Arbeitskollegen stammt sie aus dem Leitturm im Volkspark Friedrichshain, was naheliegend ist.
Die Schlosserei jedoch existierte inzwischen nicht mehr, die Räume machten einen verwaisten Eindruck. Durch die Fenster konnte man Stapel von Umzugskisten sehen. Sollte der Schweißtisch etwa bereits irgendwohin umgezogen sein? Das war schwer vorstellbar, bei dem Gewicht, das er haben müsste. Entgegen aller Erwartungen trafen die beiden dann noch einige, dem Anliegen recht aufgeschlossene technische Mitarbeiter des Krankenhauses an. Nach kurzer Rücksprache mit deren Vorgesetzten durfte die ehemalige Werkstatt betreten werden, und siehe da, der Tisch war noch vor Ort. Die Tischplatte/Tür ist 206 cm x 107 cm groß und besteht aus 6 cm starkem Panzerstahl. Auf der Unterseite sind ein Griff und die Bohrungen für die großen Verschlussriegel noch vorhanden. Das Gewicht der Platte beträgt ca. 1.050 Kilogramm.
Scherzhaft wurde seinerzeit gefragt, ob man die Tür nicht eben mitnehmen könne, um sie im Flakturm Humboldthain als Exponat auszustellen, da dort keine Türen oder Fensterklappen mehr vorhanden sind. Es wurde kurz gelacht und sich ins Wochenende verabschiedet.
Die Umzugskartons verschwanden bald darauf, ebenso wie die Mitarbeiter. Der Schweißtisch allerdings scheint für einen Umzug zu schwer gewesen zu sein und blieb. Vier Jahre später sollte nun aus dem Scherz Ernst werden, und der Berliner Unterwelten e.V. bemühte sich, den Tisch zu bekommen.
Am 5. November 2013 war es dann soweit: durch die Fa. Karl Altendorff Schwertransporte, die schon so manche kniffelige Transportaufgabe für den Verein gelöst hat, erfolgte der Transport zum Gesundbrunnen. Für die Zukunft ist beabsichtigt, die Stahltür zu restaurieren und im Flakturm Humboldthain einzubauen.
An dieser Stellen möchten wir der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH und im Speziellen Herrn L. Schellenberg herzlich dafür danken, dass dieses historische Relikt gesichert werden konnte und nicht auf dem Schrott gelandet ist.
Natürlich möchte man eine solche Tür im wahrsten Sinne des Wortes »in einem passenden Rahmen« präsentieren, und so wurde im Januar 2014 ein solcher aus der Ruine des Leitturms am Humoldthain ausgebaut. Allerdings handelt es sich dabei mit etwa 500 Kilogramm auch nicht gerade um ein Leichtgewicht. Bei den Arbeiten zum Ausbau des Rahmens wurden bei dieser Gelegenheit zudem noch drei Einfluglöcher für Fledermäuse in der Leitturmruine eingebaut.
Wir bedanken uns beim Bezirksamt Mitte von Berlin, Revier Humboldthain, für die Genehmigung und Überlassung des Reliktes.
von Dipl. Ing. (FH) Michael Assig (Geschäftsführer »Laserscan Berlin«)
In einem persönlichen Gespräch mit Vertretern des Berliner Unterwelten e.V. entstand die Idee der dreidimensionalen Erfassung der vom Verein betreuten Bauwerke. Die Schwierigkeit der Zugänglichkeit der teilweise sehr komplexen Bauweise verschiedener Objekte stellt besondere Ansprüche an die Art und Weise der Vermessungsdienstleistung. Laserscan Berlin ist ein seit 2003 bestehendes Ingenieurbüro mit der Spezialisierung auf Erfassung und digitale Weiterverarbeitung von Objekten weniger Millimeter Größe bis hin zu riesigen Bauwerken. Die Vermessung erfolgt dabei ausschließlich mit 3D-Laserscannern verschiedener Klassifizierungen. Das nächste Projekt des Berliner Unterwelten e.V., ein erneuter Abstieg in die Tiefen des Großen Bunkerberges im Volkspark Friedrichshain im Rahmen einer TV-Dokumentation für die RBB-Reihe »Geheimnisvolle Orte« im Sommer 2013 bot uns als ansässiges Unternehmen am Friedrichhain eine besondere Gelegenheit der Mitarbeit zur wissenschaftlichen Dokumentation zu erwartender Bauwerksstrukturen unter Tage.
Volkspark Friedrichshain
Der Park, angelegt zu Ehren des Preußenkönigs Friedrich II. und fertiggestellt Mitte des 19. Jahrhunderts, zeigt eine interessante Entwicklung bis heute auf. Als bedeutende, im Osten von Berlin für das Volk – ohne Einfluss von Kirche und Staat – erschaffene Parklandschaft diente sie auch als Bestattungsfläche und Erholungsgebiet. Das später erbaute Krankenhaus mit barocken Elementen und der Märchenbrunnen mit bekannten Figuren aus den Märchen der Gebrüder Grimm fügen sich in das Gelände ein. In absoluter Gegensätzlichkeit der Nutzung begann im August 1940 auf Befehl Hitlers die Errichtung von Flaktürmen aufgrund des Angriffes auf Berlin durch britische Bomber. Die heute deutlich sichtbaren Hügel sind die im Verborgenen liegenden ehemaligen Flaktürme, der Gefechts- und der Feuerleitturm Friedrichshain. Nach der Sprengung dieser Bauwerke 1946 durch die Rote Armee wurden diese durch Trümmerschutt des umliegenden Stadtteiles aufwendig übererdet, heute sind sie auch bekannt als »Großer und Kleiner Bunkerberg«. Der große Bunkerberg, auch »Mont Klamott« genannt, zählt mit 78 Metern über NN noch heute zu den höchsten Erhebungen in Berlin und bietet je nach Vegetationsstand eine gute Aussicht über den Friedrichshain.
Aufgabe
Die erste Projektbesprechung am sichtbaren Mauerbefund des ehemaligen Gefechtsturmes zeigte die besonderen Ansprüche an der Vermessung auf. Als Ziel galt es in der begrenzten Zeit von ca. 8 Stunden das weitläufige Areal zu kartieren. Dabei sollten nicht nur ebene Strichzeichnungen als gewöhnlicher Bestandsplan entstehen, sondern ein möglichst realistisches Abbild der nicht mehr zugänglichen Realität in 3D entstehen. Bereits jetzt wurde der erschwerte Zugang zum Objekt klar. In Kombination mit der relativ kurzen Vorbereitungszeit galt es nun ein überzeugendes und durchführbares Vermessungskonzept zu erstellen, ohne der Möglichkeit die zu vermessende Örtlichkeit im Vorfeld zu besichtigen.
Technologie
Der Einsatz wurde mit einem vierköpfigen Team aus Vermessungsingenieuren und -technikern geplant und durchgeführt, um die hochsensiblen und zahlreichen Vermessungsgeräte sicher in den Untergrund zu befördern und flexibel auf unerwartete Messbedingungen reagieren zu können. Als Vermessungsgeräte kamen neben einem klassischen Leica-Tachymeter zur punktuellen Erfassung von Geometrieinformationen und der Bestimmung von Passpunkten für eine spätere Referenzierung der Punktwolke auch der Leica-Laserscanner HDS 7000 zum Einsatz. Mit dem Laserscanner werden die Messobjekte mit einem Laserstrahl rasterartig abgetastet. Diese Messungen werden je nach eingestellter Entfernung und Messgenauigkeit bis zu 1 Mio. Mal pro Sekunde wiederholt. Jeder Einzelpunkt der Punktwolke ist durch eine dreidimensionale, georeferenzierte Koordinate definiert. Die Bestimmung von Intensitätswerten als Farbwerte basierend auf den Reflektionseigenschaften des Messobjektes lassen die Punktwolken wie Schwarz-Weiß-Fotografien in 3D wirken. Die verwendeten Geräte lassen Genauigkeiten in der Vermessung von wenigen Millimetern zu. In Vorbereitung wurden an den geplanten Einstieg Anschlusspunkte im Landeskoordinatensystem von Berlin angelegt. Möglichst ohne Genauigkeitsverlust konnten dann die Anschlusspunkte über das Prinzip der Polygonierung in das Bauwerksinnere gebracht werden. Somit sind alle Vermessungsarbeiten an der Oberfläche mit den Vermessungen im Untergrund verknüpfbar, eine entscheidende Voraussetzung, um im Anschluss Rückschlüsse auf die Lage des Flakturmes im Verhältnis zur Oberfläche ziehen zu können.
Ergebnisse
Bereits beim Betreten der ersten Räume wurde klar, wie stark sich die einzelnen Bauwerksteile neigen. Nach der Kombination der Messungen von Innen und Außen wurden diese Schiefstellungen bestätigt. Exakt können nun die Lage von Mauern und Raumstrukturen als röntgenbildartige Darstellung wahrgenommen und analysiert werden. In weiteren Arbeitsschritten sollen nun objekt- oder flächenbasierte 3D-Computermodelle, Grundriss-, Ansichts- oder Abwicklungspläne, Volumen-, Mengen oder Maßermittlungen sowie geometrische Analysen wie Ebenheitsuntersuchungen entstehen. Besonders können nun die Gebäudeteile in ansprechenden Visualisierungen allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden.
Hinweis
Dieser Artikel erschien in der vereinsinternen Zeitschrift Schattenwelt im Jahr 2013 Nr.3.
Autor: Dipl. Ing. (FH) Michael Assig (Geschäftsführer Laserscan Berlin)
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