Besser ausgeschildert und ausgewiesen kann ein Bauwerk dieser Machart eigentlich nicht sein. Auf der einen Seite des Flusses gibt es eine »Tunnelstraße«, auf der anderen einen »Platz am Spreetunnel«. Nur das Objekt selbst, auf das sich diese Straßennamen beziehen, war lange Zeit nicht zu sehen. Gemeint ist der ehemalige Straßenbahntunnel, der die Stralauer Halbinsel mit dem gegenüberliegenden Treptower Park verband und dabei die Spree unterquerte. Der Fluss ist an dieser Stelle immerhin fast 200 Meter breit. Das Besondere an dieser in den Jahren von 1895 bis 1899 – also noch vor der ersten Berliner U-Bahn (1902) – erbauten Anlage: Erstmals kam in Deutschland die in England entwickelte sogenannte Bauweise im Schildvortrieb zur Anwendung.
Gebaut wurde dieser 454 Meter lange, eingleisige Tunnel von einem Konsortium, der »Gesellschaft für den Bau von Untergrundbahnen«, an der unter anderem auch die AEG federführend beteiligt war. Verantwortlich für die Bauausführung waren wie beim AEG-Tunnel im Wedding die Ingenieure C. Schnebel und Wilhelm H. Lauter. Insofern kann man hier in der Tat von einer Probeanlage für die allerdings niemals realisierte AEG-Röhrenbahn sprechen. Der eigentliche Grund für seinen Bau war aber ein anderer: 1896 fand in Treptow die Treptower Gewerbeausstellung statt, eine der am meisten beachteten und am stärksten frequentierten Industrie-Messen der damaligen Zeit. Wenn auch nicht ganz so bedeutend wie eine Weltausstellung, kam sie dieser in den Ausmaßen aber doch recht nahe. Dieser Gewerbepark sollte nun auch direkt von östlicher Seite aus an das Berliner Straßenbahnnetz angeschlossen werden; und da lag die Stralauer Halbinsel dem Ausstellungsgelände am nächsten.
Eine kompliziertere Stelle hätten sich die Tunnelbauer allerdings nicht aussuchen können – ständig nachrutschender Schwemmsand verzögerte die Bauarbeiten ungemein. So wuchs der Abraum während der Bauphase zu beeindruckenden Dimensionen an, wobei das tatsächliche Tunnelvolumen erheblich übertroffen wurde. Daher konnte das Tunnelbauwerk auch erst mit dreijähriger Verspätung am 18. Dezember 1899 eingeweiht werden, lange nach Beendigung der Treptower Gewerbeausstellung. Wegen der örtlichen Verhältnisse und des geringen Tunnelquerschnittes bedurfte es einer neuen Generation von Straßenbahnwagen, etwas niedriger als die üblichen, damals von den verschiedenen Berliner Straßenbahngesellschaften betriebenen. Aber immerhin konnte man hier schließlich doch für einige Zeit, vom Schlesischen Bahnhof her kommend, nach Treptow unter der Spree hindurch mit der Tram verkehren. 1909 wurde die Straßenbahnlinie nach Köpenick verlängert. Doch dauerte dieses Vergnügen nur knappe 30 Jahre. 1932 wurde der Tunnel geschlossen, vor allem aufgrund der sinkenden Fahrgastzahlen. Kurzzeitig konnte er 1936 anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Berlin als Fußgängertunnel genutzt werden.
Im Zweiten Weltkrieg wurde auf der Stralauer Seiten in die Tunnelröhre bis kurz vor die Spree eine Luftschutzanlage eingebaut. Nach Kriegsende ist die ganze Anlage komplett aufgegeben worden, die Tunnelrampen wurden zugeschüttet. So war von diesem frühen Tunnelprojekt der AEG lange Zeit nichts mehr zu sehen; bis aufgrund anstehender Bauarbeiten Ende 1996, nach über 40 Jahren, der Tunnel auf der Stralauer Halbinsel erstmals wieder geöffnet und auf seinen baulichen Zustand untersucht werden musste. Im Inneren des Bauwerks sah es noch erstaunlich gut aus. Der vordere Teil befand sich sogar in einem relativ sauberen Zustand, die Spuren der Luftschutzanlage waren noch gut zu erkennen. Auch die Parkbänke und Bestuhlung aus Ausflugslokalen, die man damals für die Schutzsuchenden hereingestellt hatte, befanden sich immer noch vor Ort. An den Decken gab es noch Reste der Isolatoren. Hier verlief einst die Oberleitung, ein letzter Hinweis auf den ehemals durchfahrenden Straßenbahnverkehr. Weit gehen konnte man aber bei dieser Besichtigung nicht. Nach etwa 80 Metern stieß der Besucher dieses Verkehrsdenkmals aus der Vergangenheit auf eine Mauer. Diese wurde beim Einbau der LS-Anlage durch den Tunnel gezogen, um bei einem Bombentreffer unter der Spree einen Wassereinbruch in die Luftschutzräume im Tunnel zu verhindern. Was sich hinter dieser Trennwand wirklich befindet, konnte bis heute nicht geklärt werden. Zu vermuten aber ist, dass durch Undichtigkeiten der übrigen Teil des Tunnels heute komplett geflutet ist. Eine Öffnung der Mauer erscheint nicht ratsam, will man den verbliebenen Tunnelrumpf nicht gefährden. So genügen vorerst die Straßennamen auf beiden Seiten der Spree, um an dieses bautechnisch bemerkenswerte Denkmal zu erinnern. Der Berliner Unterwelten e.V. plant, die verschüttete Tunnelrampe und den Tunnelmund unter der Tunnelstraße auf der Stralauer Seite mittels eines »Archäologischen Fensters« und einer Informationstafel wieder sichtbar und erlebbar zu machen.
Erbaut: 1895–1899
Ausdehnung: Länge 454 m, mit Tunnelrampen 582 m
Nutzungszweck: Bis 1932 Straßenbahntunnel, 1936 Fußgängertunnel
Zustand: überflutet, zugeschüttet, nicht öffentlich zugänglich
Autor: Dietmar Arnold, Stand: 25. Oktober 2016
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