Netzwerke

    Die Berliner Stadtrohrpost

    Ein Produkt der Industriellen Revolution

    Die Berliner Rohrpost (1865–1976) gehörte fraglos zu den ungewöhnlichsten und faszinierenden Netzwerken des Untergrundes in der deutschen Hauptstadt. Als »kleine U-Bahn« beförderte sie in den 111 Jahren ihres Bestehens zwar keine lebenden Fahrgäste, sauste aber schon gut vierzig Jahre vor der größeren (und berühmteren Schwester) erfolgreich unter den Straßen der Spreemetropole.
    Unter einer Rohrpost versteht man eine spezielle Methode zur Beförderung von Briefen, Karten, Telegrammen, kleineren Paketen und Frachtgut mittels Luftdruck durch Rohrleitungen von einer Sendestation zu einer Empfangsstation. Es gibt ganz unterschiedliche Typen von Rohrpostanlagen. Sogenannte Innenrohrpostanlagen – solchen Anlagen, die die Reichweite beispielsweise eines Firmenbetriebsgeländes nicht überschreiten, die man etwa in Apotheken, Banken, Industriebetrieben, Krankenhäusern, Post- und Fernmeldeämtern, Produktions- und Versandhäusern, Versicherungen, Warenhäusern, ebenso wie in Zeitungs-Redaktionen finden kann, und die sogenannten Fernrohrpostanlagen. Diese »verbinden entfernt liegende Gebäude, die Postämter einer Stadt miteinander«.
    Die Rohrpost war ein Produkt der Industriellen Revolution, eine Schlüsseltechnologie ihrer Zeit und auch ein gesamteuropäisches, ja transatlantisches Phänomen. Die wichtigsten urbanen Zentren sowohl in Europa als auch in Übersee standen in gegenseitiger Verbindung, man lernte voneinander, tauschte sich aus. So wurde die Rohrpostanlage in Berlin von Ingenieuren aus Wien und Paris gebaut, gleichzeitig machte sich Siemens in London vorstellig, um seine Konzepte den dortigen Stadtherren vorzutragen, das nicht ganz ohne Erfolg. Amerikanische Postbeamte begaben sich regelmäßig nach Europa, um die auf dem alten Kontinent verkehrenden Rohrpostsysteme zu studieren und auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten anzuwenden. Die Blütezeit der Rohrpost lag zwischen 1860 und 1945. In diesen Jahren verzeichnete sie die höchsten Beförderungszahlen. Danach nahm ihre Bedeutung rapide ab, nicht zuletzt wegen neu aufkommender Technologien, und sie geriet weitgehend – wenn auch nicht zur Gänze – in Vergessenheit. In England, wo sie entstanden ist, kennt man die Rohrpost unter der Bezeichnung »pneumatic dispatch«, was auf deutsch etwa »pneumatische Beförderungsmethode« bedeutet, oder auch als »pneumatic tube« (»pneumatische Röhrenbahn«). Die im Englischen und Französischen gebräuchlichen Bezeichnungen »pneumatic tube« oder »la tube pneumatique« definieren genau das, was unter einer Rohrpost, wie dieses System im Deutschen seit 1875 genannt wird, im eigentlichen Sinne zu verstehen ist: »Pneumatische Röhrenbahnen werden zur Beförderung von Briefen, Päckchen, Telegrammen usw. mittels Druckluft über eine gewisse Entfernung hin verwendet«.

    Die Entwicklung der Rohrpost in Berlin

    Auch die Berliner Anlage trug anfänglich den Namen »pneumatische Depeschenbeförderung«. Die Königliche Preußische Telegraphendirektion beobachtete die Einführung der ersten Rohrpost in London im Jahre 1861 sehr genau und beauftragte die Firma Siemens & Halske mit dem Bau eines solchen Systems für Berlin. Am 18. November 1865 konnte die erste Linie zwischen dem Haupttelegraphenamt (Französische Straße/Oberwallstraße) und der Börse (Neue Friedrichsstraße/Burgstraße) in Betrieb genommen werden. Am 2. März 1868 folgte eine zweite Linie zwischen Haupttelegraphenamt und Potsdamer Tor. Dieses erste System hatte noch erhebliche Mängel, es litt zum Beispiel unter extremen Witterungsschwankungen. Deshalb wurde es nach 1870 komplett neuorganisiert und am 1. Dezember 1876 der Allgemeinheit öffentlich zugänglich gemacht. Nun erhielt sie auch die vom Generalpostdirektor Heinrich von Stephan geprägte Bezeichnung »Rohrpost«, die sich rasch in allen deutschsprachigen Ländern durchsetzte.
    Der Aufstieg der Berliner Rohrpost war unaufhaltsam. Aus den anfänglich 15 Rohrpostämtern und vier Maschinenhäusern wurden bis Ende März 1939 90 Ämter, die in einem Streckennetz von rund 400 Kilometern mit zwölf Schnellrohrpostlinien knapp acht Millionen Sendungen jährlich beförderten. Damit war sie die bedeutsamste ihrer Art in Deutschland und die zweitgrößte in der Welt nach der in Paris. Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg wirkten sich verheerend auf die Rohrpost aus. Nicht nur war 1945 ein Großteil der dicht unter der Straßenoberfläche liegenden Linien durch Bombentreffer zerstört. Kaum waren die notwendigsten Reparaturen erledigt, begann die Spaltung der Stadt Berlin in zwei Hälften, auch im Untergrund. Im Februar 1949 wurden sämtliche Verbindungen aus dem russischen Sektor in die Westsektoren gekappt. Sie sollten niemals wieder zusammengefügt werden. Während sich das Ost-Berliner Rohrpostnetz auf den Nachkriegsstand von 65 Kilometer einpendelte, kam es zwar im Westteil noch zu dem Bau einiger Neubaustrecken – insgesamt war das Streckennetz hier 167 Kilometer lang; der Untergang der Rohrpost war aber durch die Einführung neuer Kommunikationstechniken (Telefax) nur noch eine Frage der Zeit. Zum 1. März 1963 wurde der öffentliche Rohrpostdienst in West-Berlin eingestellt; noch einige Jahre wurden sogenannte Rohrpostschecks durch die Leitungen geblasen. Auch dies kam Anfang 1972 zu einem Ende, während in Ost-Berlin der reguläre Rohrpostbetrieb bis etwa 1976 weiterging, von vereinzelten behördeninternen Beförderungen bis etwa in die achtziger Jahre einmal abgesehen.

    Die Rohrpost heute

    Heute gehört die Berliner Stadtrohrpost der Geschichte an. Doch Rohrpostanlagen werden weiterhin noch gebaut, in Deutschland etwa von den Firmen Schreier-Rohrpost in Seevetal, Heitmann GmbH in Schalksmühle oder dem Marktführer Aerocom in Schwäbisch Gmünd. So wird die Rohrpost auch in Zukunft eine gewisse Rolle spielen, wenn auch bloß als zweckgebundene Hausrohrpost. Denn trotz E-Mail und Fax müssen auch weiterhin Originaldokumente in kürzester Zeit von einem Ort zum anderen transportiert werden. Der Blick zurück in die Geschichte dieses faszinierenden Verkehrsmittels lehrt uns, dass menschliche Erfindungskraft und Phantasie zeitübergreifend sind. So weit entfernt leben wir noch nicht von den Vätern der Rohrpost, um nicht zu erkennen, dass deren Bemühungen dazu beigetragen haben, dass unsere Welt zu dem geworden ist, was sie heute ist.

    Zeitzeug*innen gesucht
    Aktuell sucht die AG »Unterirdische Stadtstrukturen« Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, besonders ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Stadtrohrpost bis 1970er Jahre, die bei der Wartung, Bedienung und Instandhaltung der Berliner Stadtrohrpost gearbeitet haben oder deren Kinder, Enkel, die vielleicht noch Erinnerungsstücke oder Unterlagen im Keller oder auf dem Dachboden lagern.

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    Fakten

    In Betrieb: 1865–1976
    Ausdehnung: Gesamtlänge ca. 400 km
    Nutzungszweck: Beförderung von Briefen, Postkarten, Telegrammen usw.
    Zustand: abgerissen, einzelne Maschinenstationen sind erhalten, nicht öffentlich zugänglich

    Literaturtipp: »Luft-Züge – Die Geschichte der Rohrpost«, Ingmar Arnold, Edition Berliner Unterwelten, 2016.

    Autor: Ingmar Arnold, Stand: März 2020

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